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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ließen ihre Baumsegel vom Südwind blähen, und ihre Delphinherden zogen keine weißen Gischtbahnen mehr durch das Wasser.
    Die Inseln waren inzwischen gezähmt und wurden von Bürgern
des Netzes bewohnt. Die Delfine waren ausgestorben, viele waren in den fürchterlichen Kämpfen gegen FORCE gestorben, und der Rest hatte sich in dem unerklärlichen Massenselbstmord an den Stränden des Südmeers selbst umgebracht  – das letzte Rätsel einer an Rätseln so reichen Spezies.
    Gladstone nahm auf einer niedrigen Bank beim Klippenrand Platz und fand einen Grashalm, den sie schälen und kauen konnte. Was passierte mit einer Welt, die hunderttausend Menschen eine Heimat war, die in einem labilen Gleichgewicht mit einer empfindlichen Ökologie lebten, wenn sie im ersten Standardjahrzehnt der Mitgliedschaft zum Spielplatz von über vierhundert Millionen wurde?
    Die Antwort war so einfach wie erschütternd: Die Welt war zum Tode verurteilt. Oder ihre Seele, auch wenn die Ökosphäre nach einer Weile wieder funktionierte. Planetenökologen und Terraformspezialisten hielten die Hülle am Leben, verhinderten, dass das Meer am unvermeidlichen Abfall und Abwasser und ausgelaufenen Öl völlig erstickte, sie arbeiteten daran, die Lärmbelästigung zu verringern und tausend andere Dinge zu überwachen, die der Fortschritt mit sich brachte. Aber das Maui-Covenant, das der Konsul vor nicht einmal einem Jahrhundert als Kind gekannt hatte, als er ebendiesen Hügel zum Begräbnis seiner Großmutter heraufgekommen war – diese Welt existierte nicht mehr.
    Am Himmel zog eine Formation Schwebematten vorbei; die Touristen darauf johlten und lachten. Hoch über ihnen verdeckte ein großes Exkursions-EMV für einen Moment die Sonne. Im plötzlichen Schatten warf Gladstone den Grashalm weg und legte die Unterarme auf die Knie. Sie dachte an den Verrat des Konsuls. Sie hatte auf den Verrat des Konsuls gezählt , sie hatte alles darauf gesetzt, dass der Mann von Maui-Covenant, der Nachkomme von Siri, sich in der unvermeidlichen Schlacht um Hyperion auf die Seite der Ousters stellen
würde. Es war nicht allein ihr Plan gewesen; Leigh Hunt hatte bei den jahrzehntelangen Planungen eine wichtige Rolle gespielt, ebenso bei dem schwierigen Unterfangen, das fragliche Individuum in Kontakt mit den Ousters zu bringen, in eine Position, wo er beide Seiten verraten konnte, indem er den Mechanismus der Ousters auslöste, der die Zeitgezeiten auf Hyperion zusammenbrechen ließ.
    Und das hatte er. Der Konsul, ein Mann, der vier Jahrzehnte seines Lebens, ebenso wie Frau und Kind, dem Dienst an der Hegemonie geopfert hatte, war plötzlich in Rachsucht explodiert wie eine Bombe, die fünfzig Jahre lang als Blindgänger geruht hatte.
    Gladstone empfand keine Freude an dem Verrat. Der Konsul hatte seine Seele verkauft und würde einen schrecklichen Preis bezahlen – in der Geschichte, in seinem eigenen Denken  –, aber sein Verrat war nichts verglichen mit dem Verrat, für den Gladstone sich anschickte zu büßen. Als Präsidentin der Hegemonie war sie die symbolische Führerin von hundertundfünfzig Milliarden Menschenwesen. Sie war bereit, alle zu verraten, um die Menschheit zu retten.
    Sie stand auf, spürte Alter und Rheumatismus in den Knochen und ging langsam zum Terminex. Vor dem sanft summenden Portal blieb sie einen Moment lang stehen und warf Maui-Covenant einen letzten Blick zu. Der Wind wehte vom Meer herein, aber er trug den schalen Gestank von Ölpest und Raffineriegasen mit sich. Gladstone wandte sich ab.
    Die Last von Lusus senkte sich auf ihre Schultern wie ein Gewicht aus Eisen. Im Concourse herrschte Stoßzeit. Tausende Pendler, Einkäufer und Touristen drängten sich auf allen Ebenen der Fußwege, füllten die kilometerlangen Rolltreppen mit der bunten Vielfalt von Menschen und verliehen der Luft eine ausgeatmete Schwere, in die sich der Geruch von Öl und Ozon des abgeschlossenen Systems mischte. Gladstone schenkte
den teuren Einkaufsetagen keine Beachtung und nahm stattdessen einen Perstransdiskway für die zehn Klicks zum Tempel des Shrike.
    Hinter dem Ansatz der breiten Treppe befanden sich Polizeiabsperrungen und Sperrfelder, die violett und grün leuchteten. Der Tempel selbst war vernagelt und dunkel; viele der hohen, schmalen Buntglasfenster auf den Concourse hinaus waren eingeworfen worden. Gladstone erinnerte sich an die Meldungen über Aufstände vor Monaten und wusste, dass der Bischof und seine Priester geflohen waren.
    Sie

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