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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Glanz die Augen zusammen und sah das Tal hinab, wo die anderen Gräber wie grüne Irrlichter hinter den Vorhängen wehenden Staubs glühten. Licht und lange Schatten jagten über den Talboden, während am Himmel die letzten Farben des Sonnenuntergangs aus den Wolken wichen und die Nacht mit dem heulenden Wind kam.
    Etwas bewegte sich im Eingang des zweiten Gebäudes, des Jadegrabs. Sol taumelte die Stufen der Sphinx hinab, sah zum Eingang hinauf, wo das Shrike mit seiner Tochter verschwunden war, und dann war er von der Treppe herunter, hastete an den Pranken der Sphinx vorbei und rannte den sturmumtosten Weg entlang Richtung Jadegrab.
    Etwas entfernte sich langsam vom violetten Eingang und zeichnete sich als Schattenriss vor dem Leuchten des Grabs ab, aber Sol konnte nicht sagen, ob es menschlich war oder nicht, Shrike oder nicht. Wenn es das Shrike war, würde er es mit bloßen Händen ergreifen und schütteln, bis es ihm entweder seine Tochter zurückgab oder einer von ihnen tot war.
    Es war nicht das Shrike.
    Sol konnte die Silhouette jetzt als menschlich identifizieren. Die Person stolperte und lehnte sich wie müde oder verletzt an den Türrahmen des Jadegrabs.
    Es war eine junge Frau.
    Sol dachte an Rachel, die vor mehr als einem Standardvierteljahrhundert hier gewesen war, die junge Archäologin, die diese Artefakte erforscht und keine Ahnung von dem Schicksal gehabt hatte, das hier in Form von Merlins Krankheit auf sie wartete. Sol hatte sich stets vorgestellt, dass sein Kind gerettet
und der Krankheit Einhalt geboten werden würde, dass sie wieder normal altern und das Kind, das eines Tages Rachel sein sollte, sein Leben zurückbekommen würde. Was aber, wenn Rachel als die sechsundzwanzigjährige Rachel zurückkehrte, die die Sphinx betreten hatte?
    Sols Puls schlug so laut in seinen Ohren, dass er das Tosen des Windes ringsum nicht hören konnte. Er winkte der Gestalt, die mittlerweile halb im Sandsturm verschwunden war.
    Die junge Frau winkte zurück.
    Sol lief weitere zwanzig Meter, blieb dreißig Meter von der Tür entfernt stehen und rief: »Rachel! Rachel!«
    Die junge Frau, deren Silhouette sich unter der Tür abhob, trat von der Tür weg, berührte das Gesicht mit beiden Händen, rief etwas, das im Heulen des Sturms unterging, und kam langsam die Treppe herunter.
    Sol lief, stolperte über Steine, als er vom Weg abkam und blind über den Talboden wankte, achtete nicht auf die Schmerzen, als sein Knie an einen flachen Felsen stieß, fand den richtigen Weg wieder, rannte zum Jadegrab und nahm sie in Empfang, als sie aus dem Kegel expandierenden Lichts trat.
    Sie fiel, als Sol gerade die erste Treppenstufe erreichte, und er fing sie auf und ließ sie behutsam auf den Boden sinken, während der aufgewirbelte Sand ihm auf den Rücken prasselte und die Gezeiten der Zeit als unsichtbare Wirbel von Schwindelgefühl und déjà vu um sie herumwogten.
    »Sie sind es«, sagte sie, hob eine Hand und berührte Sols Wange. »Es ist echt. Ich bin wieder da.«
    »Ja, Brawne«, sagte Sol, der versuchte, mit gelassener Stimme zu sprechen und feuchte Locken aus Brawne Lamias Gesicht strich. Er hielt sie fest, einen Arm aufs Knie gestemmt, stützte ihren Kopf und machte den Rücken krumm, um sie vor Wind und Sand zu schützen. »Schon gut, Brawne«, sagte
er, schirmte sie ab und hielt Tränen der Enttäuschung in den Augen zurück. »Schon gut. Sie sind wieder da.«
     
    Meina Gladstone ging die Treppe des höhlenartigen Stabszimmers hinauf und betrat einen langen Flur, wo Perspexstreifen Ausblick vom Mons Olympus hinab auf das Tharsis-Plateau ermöglichten. Weit unten regnete es, und von diesem Aussichtspunkt fast zwölf Klicks hoch im marsianischen Himmel konnte sie Lichtblitze und Vorhänge statischer Elektrizität erkennen, während der Sturm über die Hochebene fegte.
    Sedeptra Akasi, ihre Beraterin, kam ebenfalls in den Flur und stellte sich schweigend neben die Präsidentin.
    »Immer noch keine Nachricht von Leigh oder Severn?«, fragte Gladstone.
    »Nein«, sagte Akasi. Das Gesicht der jungen Schwarzen wurde sowohl vom fahlen Licht der Heimatsonne wie auch vom Spiel der Blitze unten erhellt. »Die Core-Behörden sagen, es könnte sich um eine Farcasterfehlfunktion gehandelt haben.«
    Gladstone lächelte ohne Wärme. »Ja. Aber können Sie sich an eine Farcasterfehlfunktion zu unseren Lebzeiten erinnern, Sedeptra? Irgendwo im Netz?«
    »Nein, M. Präsidentin.«
    »Der Core sieht keinen Anlass mehr für

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