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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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seines Fluchens sie aufgeschreckt haben.
    »Sie haben wie Dr. Johnson die Wirklichkeit der Lage demonstriert« , sage ich. »Dies ist kein Stimsim, kein Traum. Oder besser gesagt, nicht mehr als unser bisheriges Leben auch.«
    »Warum haben sie uns hierhergebracht?«, verlangt der Attaché der Präsidentin zu wissen und blickt himmelwärts, als würden die Götter selbst hinter dem pastellfarbenen Schirm der Abendwolken zuhören. »Was wollen sie?«
    Sie wollen, dass ich sterbe , denke ich und erkenne, dass das der Wahrheit entspricht, als hätte mir jemand mit der Faust auf die Brust geschlagen. Ich atme langsam und flach, um einen
Hustenanfall zu vermeiden, während ich Schleim im Hals blubbern und kochen spüre. Sie wollen, dass ich sterbe, und sie wollen, dass du dabei zusiehst.
    Die Mähre setzt ihren mühsamen Anstieg fort, biegt rechts in die nächste schmale Gasse ein, dann gleich wieder rechts auf eine breitere Straße und bleibt vor einer gewaltigen Treppenflucht stehen.
    »Wir sind da«, sage ich und bemühe mich, vom Wagen zu klettern. Meine Beine sind verkrampft, ich habe Schmerzen in der Brust, mein Hintern ist wund. In Gedanken beginne ich eine satirische Ode über die Freuden des Reisens.
    Hunt steigt so ungelenk aus wie ich, verschränkt die Arme und bleibt am Fuß der gewaltigen, zweigeteilten Leiter stehen, die er betrachtet, als wäre sie eine Falle oder Illusion. »Wo genau ist da , Severn?«
    Ich deute auf den freien Platz am Fuß der Treppe. »Die Piazza di Spagna«, sage ich. Plötzlich kommt es mir seltsam vor, dass Hunt mich Severn nennt. Mir wird klar, dass der Name nicht mehr meiner war, als wir durch das Lateran-Tor gekommen sind. Oder besser gesagt, dass mein richtiger Name plötzlich wieder mein eigener geworden ist. »Es werden nicht viele Jahre vergehen«, sage ich, »dann wird dies die Spanische Treppe genannt werden.« Ich gehe langsam die rechte Seite der Treppe hinauf. Von plötzlichem Schwindelgefühl ergriffen, stolpere ich, worauf Hunt an meine Seite hastet und meinen Arm ergreift.
    »Sie können nicht gehen«, sagt er. »Sie sind zu krank.«
    Ich deute auf ein fleckiges altes Bauwerk, das eine Mauer an der gegenüberliegenden Seite der Treppe bildet und über die Piazza blickt. »Es ist nicht weit, Hunt. Dort ist unser Ziel.«
    Gladstones Attaché wendet sich mit missmutigem Gesicht dem Gebäude zu. »Und was ist dort? Warum machen wir dort halt? Was erwartet uns dort?«

    Ich kann nicht anders, ich muss über diese unpoetischste Verwendung von Assonanz lächeln. Plötzlich stelle ich mir vor, wie wir lange Nächte in diesem düsteren Loch von einem Haus sitzen, während ich ihm beibringe, wie man solche Techniken mit männlichen oder weiblichen Zäsuren verbindet, oder die Freude, das jambische Versmaß mit dem unbetonten pyrrhischen abzuwechseln, oder die Selbstgefälligkeit eines gelegentlichen Spondeus.
    Ich huste, huste anhaltend und kann erst aufhören, als Blut meine Handfläche und das Hemd besudelt.
    Hunt hilft mir die Treppe herunter, über die Piazza, wo Berninis bootsförmiger Springbrunnen in der Dämmerung gurgelt und plätschert, und dann führt er mich, meinem ausgestreckten Finger folgend, ins schwarze Rechteck der Tür – der Tür der Piazza di Spagna Nr. 26 –, und ich denke unfreiwillig an Dantes Commedia und meine den Satz »Lasciate ogne speranza, voi ch’intrate« – »Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet« – über dem kahlen Türrahmen eingemeißelt zu sehen.
     
    Sol Weintraub stand am Eingang der Sphinx und schüttelte die Faust dem Universum entgegen, während sich die Nacht niedersenkte und die Gräber im strahlenden Glanz ihres Öffnens leuchteten und seine Tochter nicht zurückkehrte.
    Nicht zurückkehrte.
    Das Shrike hatte sie mitgenommen, hatte ihren neugeborenen Körper auf die stählerne Handfläche gelegt und war in das Leuchten zurückgewichen, das Sol in diesem Moment zurückdrängte wie ein schrecklicher, greller Wind aus den Tiefen des Planeten. Sol stemmte sich gegen den Wirbelsturm aus Licht, aber dieser hielt ihn so unüberwindbar draußen wie ein fehlgelenktes Sperrfeld.
    Hyperions Sonne war untergegangen, jetzt wehte ein kalter
Wind vom Ödland, den eine Kaltluftfront, die von Süden die Berge herunterkam, aus der Wüste vor sich her wehte, und Sol drehte sich um, während karmesinroter Sand ins scheinwerferartige Leuchten der Zeitgräber wehte, die sich auftaten.
    Die sich auftaten!
    Sol kniff vor dem kalten

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