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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Oberlippe nachzuzeichnen. Er ließ es sein.
    »Du bist es«, sagte Moneta wieder, und diesmal war es keine Frage. »Der Krieger, von dem ich dem Volk prophezeit habe.«
    »Kennst du mich nicht, Moneta?« Mehrere Schnitte waren bis auf die Knochen durchgegangen, aber keiner war so schmerzhaft wie dieser Augenblick.
    Sie schüttelte den Kopf, warf das Haar mit einer schmerzhaft vertrauten Gebärde aus der Stirn. »Moneta. Es bedeutet ›Tochter der Erinnerung‹ und zugleich ›Ermahnerin‹. Ein guter Name.«
    »Ist es nicht deiner?«
    Sie lächelte. Kassad erinnerte sich an dieses Lächeln auf der Waldlichtung, wo sie sich zum ersten Mal geliebt hatten. »Nein«, sagte sie leise. »Noch nicht. Ich bin gerade hier eingetroffen. Meine Reise und Aufseherpflicht haben noch nicht begonnen.« Sie nannte ihm ihren Namen.
    Kassad blinzelte, hob die Hand und legte ihr die Handflächen
an die Wangen. »Wir waren Liebende«, sagte er. »Wir haben uns auf Schlachtfeldern getroffen, die dem Vergessen anheimgefallen sind. Du warst überall bei mir.« Er sah sich um. »Alles führt hierher, richtig.«
    »Ja«, sagte Moneta.
    Kassad drehte sich um und betrachtete die Armee der Shrikes jenseits des Tals. »Ist das ein Krieg? Ein paar Tausend gegen ein paar Tausend?«
    »Ein Krieg«, sagte Moneta. »Ein paar Tausend gegen ein paar Tausend auf zehn Millionen Welten.«
    Kassad machte die Augen zu und nickte. Der Hautanzug diente ihm als Stützverband, Gefechtskleidung und Ultramorphininjektor, aber Schmerzen und Schwäche der schrecklichen Wunden ließen sich nicht mehr lange fernhalten. »Zehn Millionen Welten«, sagte er und schlug die Augen wieder auf. »Also ein Endkampf?«
    »Ja.«
    »Und der Sieger erhält die Gräber?«
    Moneta sah ins Tal. »Der Sieger bestimmt, ob das Shrike, das bereits dort eingekerkert ist, allein geht und den Weg für andere ebnet …« Sie deutete mit einem Nicken zur Armee der Shrikes. »Oder ob die Menschheit in unserer Vergangenheit und Zukunft etwas mitzureden hat.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Kassad mit gepresster Stimme, »aber Soldaten verstehen die politische Situation selten.« Er beugte sich vor, küsste die überraschte Moneta und zog ihr den roten Seidenschal aus. »Ich liebe dich«, sagte er, während er das rote Tuch an den Lauf seines Gefechtsgewehrs band. Skalen verrieten, dass noch die Hälfte der Pulsladungen und Munition verblieben war.
    Fedmahn Kassad trat fünf Schritte vor, drehte dem Shrike den Rücken zu, hob die Arme vor den Menschen, die stumm auf der Hügelflanke standen, und rief: »Für die Freiheit!«

    Dreitausend Stimmen riefen zurück: »Für die Freiheit!« Das Brüllen hörte nicht mit dem letzten Wort auf.
    Kassad drehte sich um und hielt Gewehr mit Wimpel hoch. Das Shrike trat einen halben Schritt vor, breitete die Arme aus und klappte die Fingerklingen auf.
    Kassad brüllte und griff an. Hinter ihm folgte Moneta mit hoch erhobener Waffe. Tausende folgten.
     
    Später fanden Moneta und einige andere der Auserwählten Krieger Kassads Leichnam noch im Todesgriff des geschlagenen Shrike inmitten der Verwüstungen auf dem Schlachtfeld. Sie lösten Kassad behutsam daraus, trugen ihn zu einem wartenden Zelt im Tal, wuschen und behandelten seinen zerschundenen Leichnam und trugen ihn durch die Menge zum Kristallmonolithen.
    Dort wurde der Leichnam von Oberst Fedmahn Kassad auf einen Sockel aus weißem Marmor gelegt, die Waffen zu seinen Füßen. Im Tal brannte hell lodernd ein gewaltiges Feuer. Überall im Tal schritten Männer und Frauen mit Fackeln dahin, während andere aus dem lapislazulifarbenen Himmel niederstießen, manche in Fluggefährten so substanzlos wie Seifenblasen, andere auf Energieschwingen oder in goldenen und grünen Kreisen schwebend.
    Später, als die Sterne herausgekommen waren und kalt und hell über dem Tal leuchteten, verabschiedete sich Moneta und betrat die Sphinx. Die Menge sang. Auf den angrenzenden Feldern wuselten kleine Nagetiere zwischen gefallenen Wimpeln und den verstreuten Überresten von Panzer und Rüstung, Metallklingen und geschmolzenem Stahl.
    Gegen Mitternacht hörte die Menge auf zu singen, keuchte und wich zurück. Die Zeitgräber glühten. Heftige Gezeiten der Anti-Entropiefelder trieben die Menge weiter zurück – zum Eingang des Tals, über das Schlachtfeld, hin zu der Stadt, die schwach in der Nacht leuchtete.

    Im Tal schimmerten die gewaltigen Gräber, verblassten von Gold zu Bronze und begannen ihre lange Reise

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