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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Merlins Krankheit zu erlösen, mehrmals getroffen, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass Feldstein an etwas vom Maßstab eines interstellaren Krieges teilnahm – überhaupt an etwas Größerem als der Einweihung eines neuen medizinischen Zentrums in der Hauptstadt Bussard oder einer Ansprache vor einer Versammlung in der Universität von Crawford.
    Die derzeitige Präsidentin der Hegemonie hatte Sol nie kennengelernt, aber als Gelehrter hatte er Gefallen an ihren subtilen Nachahmungen der Reden klassischer Gestalten wie Churchill und Lincoln und Alvarez-Temp gefunden. Doch jetzt, als er zwischen den Pranken des gewaltigen Steintieres saß und um seine Tochter weinte, konnte sich Sol nicht vorstellen, was im Kopf dieser Frau vor sich ging, wenn sie Entscheidungen traf, die Milliarden retten oder zum Untergang verurteilen konnten, die das größte Imperium in der Menschheitsgeschichte erhalten oder verraten konnten.
    Sol war es einerlei. Er wollte seine Tochter wiederhaben. Er wollte, dass Rachel lebte, obwohl die Logik das Gegenteil gebot.
    Sol, der zwischen den Steinpranken der Sphinx auf einer belagerten Welt in einem vom Krieg gebeutelten Reich hockte, wischte sich Tränen aus den Augen, damit er die Sterne besser
sehen konnte, und dachte an ein Gedicht von Yeats: »Ein Gebet für meine Tochter«.
    Und wieder heult der Sturm, und halb versteckt
In ihrer Wiege und gut zugedeckt
Schläft mir mein Kind. Und nichts ist in der Näh,
Nur Gregorys Wald und eine kahle Höh,
Das diesem Wind, der Dach und Schober niederfegt
Und aus dem Meer heranwuchs, widersteht.
Ich geh seit einer Stunde im Gebet,
Weil dunkle Schwermut mir den Sinn bewegt.
     
    Ich geh seit einer Stunde im Gebet für dieses Kind
Und hör den Seewind auf dem Turme schreien
Und unter Brückenbogen und von neuem
In Ulmen überm Fluss, der überschwemmt;
Was ich in aufgeregten Träumen seh:
Zukünftige Jahre ziehn herbei,
Umtanzende Trommelraserei,
Aus mörderischem Unschuldsschoß der See.
    Sol wurde jetzt klar, er wollte nur eines, dieselbe Möglichkeit, sich wegen jener künftigen Jahre zu grämen, die alle Eltern fürchten und verabscheuen. Nicht zuzulassen, dass ihre Kindheit und Jugendjahre und linkisches Heranwachsen von der Krankheit gestohlen und vernichtet werden.
    Sol hatte sein Leben lang trotzig unwiederbringliche Dinge wiederbringen wollen. Er erinnerte sich an den Tag, als er Sarai gefunden hatte, wie sie Rachels Babysachen zusammengelegt und in einer Kiste auf dem Dachboden verstaut hatte, und er erinnerte sich an ihre Tränen und sein eigenes Gefühl der Trauer um das Kind, das sie immer noch hatten, das aber einzig durch den simplen Pfeil der Zeit für sie verloren war.
Sol wusste jetzt, dass wenig zurückgebracht werden konnte, es sei denn in der Erinnerung – Sarai war tot und konnte nicht zurückkehren, Rachels Freunde und die Welt aus Kindertagen waren für immer dahin, selbst die Gesellschaft, die er erst vor wenigen Wochen verlassen hatte, war im Begriff, für immer unwiederbringlich zerstört zu werden.
    Und als er das denkt, wie er so zwischen den Klauenpranken der Sphinx hockt und der Wind nachlässt und die falschen Sterne leuchten, muss Sol an ein anderes und weitaus geheimnisvolleres Gedicht von Yeats denken.
    Sicherlich steht eine Offenbarung bevor,
Sicherlich steht der Jüngste Tag bevor.
Der Jüngste Tag! Kaum sind die Worte entschlüpft,
Ist meine Sicht verstört von einem ungeheuren Bild,
Ausspiegelung des Spiritus Mundi:
Irgendwo im Wüstensand nähert sich
Die Gestalt eines Löwenleibs mit dem Kopf eines Menschen,
Einem Blick, blank und mitleidlos wie die Sonne,
Bewegt ihre lässigen Schenkel, umschwungen
Von dem Schatten der zornigen Wüstenvögel.
Langsam senkt sich die Dunkelheit wieder.
Doch jetzt weiß ich: zwei Jahrtausende steinernen Schlafes
Sind aufgerührt zu Alptraum durch eine schaukelnde Wiege:
Welche wüste Bestie, deren Stunde nun gekommen ist,
Schlampt gegen Bethlehem in ihre Geburt?
    Sol weiß es nicht. Sol muss erneut feststellen, dass es ihm einerlei ist. Sol will seine Tochter wiederhaben.
     
    Im Kriegsrat schien Übereinstimmung zu herrschen, die Bombe abzuwerfen.
    Meina Gladstone saß am Kopfende des langen Tisches und
spürte das eigenwillige, aber nicht unangenehme Gefühl der Abgeschiedenheit, das von zu wenig Schlaf über einen viel zu langen Zeitraum hinweg herrührt. Wenn sie die Augen schließen würde, und sei es nur für eine Sekunde, hieße das, auf dem

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