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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Dunkelheit fiel. In diesem Moment bemerkte der Konsul die beiden Angriffsgleiter von FORCE, die über den nahegelegenen Dächern schwebten. Dunkelheit und Chamäleonpolymerhüllen hatten sie gut verborgen, aber jetzt offenbarte der Regen ihre Umrisse. Natürlich, dachte der Konsul, der Generalgouverneur reist nicht ohne Eskorte.
    »Sind die Priester entkommen? Gab es Überlebende, als der Tempel zerstört wurde?«, fragte Brawne Lamia.
    »Ja«, sagte Theo. Der De-facto-Diktator von fünf Millionen zum Untergang verurteilten Seelen nahm die Brille ab und putzte sie am Hemdzipfel. »Alle Priester des Shrike-Kults und ihre Anwärter sind durch Tunnel entkommen. Der Mob hatte den Tempel schon monatelang umzingelt. Ihre Anführerin, eine Frau namens Cammon von irgendwo östlich des Grasmeers, warnte alle im Tempel rechtzeitig, bevor sie die DL-20 zündete.«

    »Und wo war die Polizei?«, fragte der Konsul. »Die SST? FORCE?«
    Theo Lane lächelte, und in diesem Augenblick sah er Jahrzehnte älter aus als der junge Mann, den der Konsul gekannt hatte. »Ihr seid drei Jahre im Transit gewesen«, sagte er. »Das Universum hat sich verändert. Shrike-Kultisten werden sogar im Netz verbrannt und zusammengeschlagen. Dann könnt ihr euch das Verhalten hier sicher vorstellen. Die Polizei von Keats wurde unter dem Kriegsrecht vereinnahmt, das ich vor vierzehn Monaten verhängt habe. Sie und die SST haben zugesehen, wie der Mob den Tempel niedergebrannt hat. Ich auch. Es waren eine halbe Million Menschen anwesend.«
    Sol Weintraub kam näher. »Wissen sie von uns? Von dieser letzten Pilgerfahrt?«
    »Wenn sie es wüssten«, sagte Theo, »wäre keiner von Ihnen mehr am Leben. Man sollte meinen, ihnen müsste alles recht sein, was das Shrike besänftigen könnte, aber der Mob würde nur auf eines achten, nämlich dass Sie von der Kirche des Shrike ausgewählt worden sind. Ich musste mich auch schon über meinen eigenen Ratgeberstab hinwegsetzen. Er war dafür, Ihr Schiff zu vernichten, bevor es in die Atmosphäre eintrat.«
    »Warum hast du das getan?«, fragte der Konsul. »Dich darüber hinweggesetzt?«
    Theo seufzte und rückte die Brille zurecht. »Hyperion braucht die Hegemonie noch, und Gladstone hat noch das Vertrauen des All-Wesens, wenn auch nicht des Senats. Und ich brauche dich immer noch.«
    Der Konsul betrachtete die Trümmer des Shrike-Tempels.
    »Diese Pilgerfahrt war bereits vorbei, ehe du hier eingetroffen bist«, sagte Generalgouverneur Theo Lane. »Würdest du mit mir zum Konsulat kommen – wenigstens in der Funktion eines Beraters?«
    »Tut mir leid«, sagte der Konsul. »Ich kann nicht.«

    Theo drehte sich ohne ein weiteres Wort um, ließ sich in den Gleiter fallen und hob ab. Seine Militäreskorte folgte ihm als Schemen im Regen.
    Es regnete jetzt heftiger, und die Gruppe rückte in der zunehmenden Dunkelheit dichter zusammen. Weintraub hatte eine behelfsmäßige Kapuze über dem Baby ausgebreitet; das Prasseln des Regens auf dem Plastik brachte Rachel zum Weinen.
    »Was jetzt?«, fragte der Konsul und sah sich zu den nächtlichen schmalen Gassen um. Ihr Gepäck lag auf einem nassen Haufen. Die Welt roch nach Asche.
    Martin Silenus grinste. »Ich kenne da eine Bar.«
     
    Wie sich herausstellte, kannte der Konsul die Bar auch; ja, er hatte während seiner elfjährigen Dienstzeit auf Hyperion so gut wie im Cicero’s gelebt.
    Im Gegensatz zu den meisten Kneipen in Keats, ja auf ganz Hyperion, war das Cicero’s nicht nach einem Stück Trivialliteratur aus Prä-Hegira-Zeiten benannt. Gerüchte wollten wissen, dass die Bar nach einem Stadtteil einer Metropole auf der Alten Erde benannt war – manche sagten, es sei eine Verballhornung von Chicago, USA, andere waren sicher, dass es sich um eine von Calcutta, AIS, handelte –, aber nur Stan Leweski, Besitzer und Urenkel des Gründers, wusste es genau, und Stan hatte das Geheimnis nie preisgegeben. Im Laufe der über anderthalb Jahrhunderte ihres Bestehens hatte sich die Bar von einer Spelunke in einem der verfallenen Gebäude von Jacktown am Hoolie zu neun Stockwerken in vier verfallenen alten Gebäuden am Hoolie gemausert. Die einzigen konstanten Elemente im Cicero’s über die Jahrzehnte hinweg waren die niedrigen Decken, der dichte Rauch und das ständige Hintergrundmurmeln, das inmitten hektischsten Gewimmels eine gewisse Privatsphäre bot.

    An diesem Abend jedoch gab es keine Privatsphäre. Der Konsul und die anderen blieben stehen, als sie mit ihrem

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