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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Laternen auf vorüberziehenden Flussbarken erhellt. Die meisten Häuser entlang des Hoolie waren dunkel, aber andere Lichter der Stadt wurden von den tiefhängenden Wolken gespiegelt. Der Konsul konnte die Ruinen des Shrike-Tempels einen halben Kilometer flussaufwärts sehen.
    »Nun«, sagte Pater Hoyt, der sich anscheinend von seiner starken Dosis Ultramorph erholt hatte und die komplizierte Gratwanderung zwischen Schmerz und Betäubung bewerkstelligte, »was machen wir jetzt?«
    Als niemand antwortete, machte der Konsul die Augen zu.
Er weigerte sich, die Rolle des Anführers zu übernehmen. Hier, auf dem Balkon im Cicero’s, war es nur allzu leicht, in den Rhythmus eines früheren Lebens zu verfallen: Er würde trinken bis in die frühen Morgenstunden, die Meteorschauer vor der Dämmerung bewundern, wenn sich die Wolken verzogen, dann nach Hause in sein leeres Apartment in der Nähe des Markts stolpern und vier Stunden später geduscht, rasiert und scheinbar menschlich ins Konsulat gehen, abgesehen von den blutunterlaufenen Augen und den wahnsinnigen Kopfschmerzen. Er würde sich darauf verlassen, dass Theo – der stille, kompetente Theo – ihn durch den Vormittag bringen würde. Darauf verlassen, dass das Glück ihn durch den Tag bringen würde. Darauf verlassen, dass das Trinken im Cicero’s ihn durch die Nacht bringen würde. Darauf verlassen, dass sein unbedeutender Posten ihn durchs Leben bringen würde.
    »Sind Sie jetzt alle bereit, zur Pilgerfahrt aufzubrechen?«
    Der Konsul riss die Augen auf. Eine Gestalt mit Kapuze stand unter der Tür, und der Konsul dachte einen Augenblick, es wäre Het Masteen, doch dann fiel ihm auf, dass dieser Mann viel kleiner war und seine Sprechweise nicht die verschluckten Konsonanten der Tempelritter aufwies.
    »Wenn Sie bereit sind, müssen wir gehen«, sagte die dunkle Gestalt.
    »Wer sind Sie?«, fragte Brawne Lamia.
    »Kommen Sie rasch«, lautete die Antwort des Schattens.
    Fedmahn Kassad stand auf, blieb geduckt, damit er nicht mit dem Kopf an die Decke stieß, packte die Gestalt und schnippte mit der linken Hand die Kapuze des Mannes zurück.
    »Ein Android!«, rief Lenar Hoyt und betrachtete die blaue Haut und die blau-in-blauen Augen des Mannes.
    Der Konsul war nicht so überrascht. Es war seit mehr als einem Jahrhundert in der Hegemonie verboten, Androiden zu besitzen, und fast ebenso lang wurden keine mehr biofabriziert,
aber in entlegenen Teilen und auf Welten ohne Koloniestatus  – Welten wie Hyperion – wurden sie immer noch als Arbeitskräfte eingesetzt. Im Tempel des Shrike waren Androiden in großer Zahl eingesetzt worden – aufgrund der kirchlichen Doktrin, dass sie frei von der Erbsünde waren, der Menschheit dadurch spirituell überlegen und – nebenbei – vor der schrecklichen und unausweichlichen Vergeltung des Shrike sicher.
    »Sie müssen rasch mitkommen«, flüsterte der Android und zog die Kapuze wieder über den Kopf.
    »Kommst du vom Tempel?«, fragte Lamia.
    »Still!«, fauchte der Android. Er drehte sich kurz um und nickte. Der Konsul sah zu, wie Kassad beiläufig die lange Lederjacke aufzog, die er anhatte. Er erhaschte einen flüchtigen Blick auf den Todesstrahler im Gürtel des Oberst. Normalerweise hätte der Gedanke, einen Todesstrahler auch nur in der Nähe zu haben, den Konsul abgestoßen – der winzigste Fehlgriff konnte jede Synapse auf dem Balkon pürieren –, aber in diesem Augenblick beruhigte ihn der Anblick auf seltsame Weise.
    »Unser Gepäck …«, begann Sol Weintraub.
    »Wurde bereits verladen«, flüsterte der Mann mit der Kapuze. »Rasch jetzt!«
    Die Gruppe folgte dem Androiden die Treppe hinunter in die Nacht; ihre Bewegungen waren so müde und passiv wie ein Seufzen.
     
    Der Konsul schlief lange. Eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang fand ein Rechteck aus Licht einen Weg zwischen der Jalousie des Bullauges hindurch und fiel auf sein Kissen. Der Konsul wälzte sich herum, wachte aber nicht auf. Eine Stunde später ertönte ein lautes Poltern, als die müden Mantas, die die ganze Nacht die Barke gezogen hatten, freigelassen
und frische aufgezäumt wurden. Der Konsul schlief weiter. Im Verlauf der nächsten Stunde wurden die Schritte und Rufe der Mannschaft auf dem Deck vor seiner Koje immer lauter, doch es war der Warnton vor den Schleusen bei Karla, der ihn schließlich aus dem Schlummer riss.
    Er bewegte sich langsam und in der drogengleichen Trägheit des Fugenkaters, badete, so gut es ihm nur mit

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