Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die im Dunkeln

Die im Dunkeln

Titel: Die im Dunkeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
Vom Netzwerk:
waren lauter alte Männer gewesen, vor allem Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg, mit altem Pickup, irrem Durst und dem dringenden Bedürfnis, ihre Rentenschecks aufzubessern.
    Der Mann, der an diesem Morgen um 7.19 Uhr im Eingang zum Apartment stand, schien sich jedoch eher als Gesandter denn als Bote zu betrachten. Er mochte um die 36 sein, überragte Partains 1.85 um ein halbes Dutzend Zentimeter und wog an die zehn Kilo mehr als er. Alles an ihm – das wettergegerbte gute Aussehen, die Größe, die anmaßende Haltung und die teuren Kleider – irritierte Partain und ließ ihn sich mit seinen 41 alt und vergilbt und abgenutzt-schäbig fühlen.
    Partain war barfuß und trug zerschlissene Jeans und ein zerrissenes weißes T-Shirt, als er die Tür öffnete, damit das Geklingel aufhörte. Der lächelnde Bote stand dort und prangte in marineblauem Kaschmirblazer mit Goldknöpfen, matt cremefarbenem Hemd, Hose aus Kavallerietwill und, an sockenlosen Füßen, weichen Lederslippern. Inzwischen war das Lächeln aber verschwunden, und der Bote trug ein ernsthaftes, wiewohl verblüfftes Stirnrunzeln und darunter ein Sortiment sonstiger Linien und Falten, die Partain Müßiggang, Ausschweifung und zuviel Zeit am Strand zuschrieb.
    »Ich glaube, ich habe mich nicht klar ausgedrückt«, sagte der Bote in freundlichem Baß.
    »Doch, haben Sie«, sagte Partain. »Sie haben gesagt, sie muß für den Umschlag unterschreiben. Ich habe gesagt, ich wecke sienicht, will aber gern für sie unterschreiben. Sie sagen, das ist gegen die Bestimmungen. Ich werde gleich sagen: Kommen Sie später wieder.«
    »Wer zum Teufel sind Sie überhaupt?«
    »Der neue beste Freund der Familie.«
    »Also, hören Sie, Freund, ich versuche nur, meinen Job zu erledigen, und ...«
    »Von wegen«, sagte Jessica Carver, als sie in die Diele kam. Partain wandte sich um und sah, daß sie nur ein sehr langes weißes T-Shirt trug, in dem sie offenbar geschlafen hatte.
    »Er behauptet, er ist ein Bote«, sagte Partain.
    »Das ist Dave«, sagte sie. »Sieht Dave wie ein Bote aus?« »Verdammt, Jessie. Wir müssen miteinander reden.«
    »Nein, müssen wir nicht«, sagte sie und wandte sich an Partain. »Der soll verschwinden.«
    »Könnte Schmutz geben«, sagte er.
    »Und?« sagte sie und verschwand im Wohnraum.
    Partain sah ihr noch hinterher; dabei sagte er: »Tut mir leid, Dave«, und drehte sich um, als der falsche Bote mit seiner großen rechten Faust ausholte und nach Partains Herz hieb. Aber dank des Ausholens wich Partain dem Schlag mühelos aus, ging auf Nahkampfdistanz und klatschte die Unterkante seines linken Handtellers gegen Daves rechtes Auge.
    Dave jaulte, ließ das Klemmbrett fallen, schlug die rechte Hand vors Auge, legte dann die linke auf die rechte, stand ungedeckt gegen weitere Beschädigung. Statt anzugreifen, legte ihm Partain sanft eine Hand auf die Schulter, schob ihn in den Wohnraum und ließ ihn in einen bequemen Armsessel gleiten.
    »Sie verlieren das Auge schon nicht«, sagte Partain.
    »Gehn Sie zum Teufel«, sagte Dave, beugte sich vornüber und ließ den Kopf zwischen die Knie hängen, entweder um den Schmerz zu lindern oder um nicht ohnmächtig zu werden. Jetzt bedecktenur noch seine rechte Innenhand das wunde Auge, und er saß noch immer vornübergebeugt da, als Jessica Carver ins Wohnzimmer kam, einen Blick auf Dave warf und sagte: »Was hat er jetzt für ein Problem?«
    »Kleine Meinungsverschiedenheit«, sagte Partain.
    »Er hat gewonnen, wie ich sehe.«
    »Find ich nicht.«
    »Er ist doch drinnen, oder?« sagte sie.
     
    Weil sich Jessica Carver im Schlafzimmer eingeschlossen hatte und absolut nichts mit Dave zu tun haben wollte, durfte Partain ihm Mull über das gequetschte Auge kleben, wo die Haut ringsum schon die künftigen Gallefarben ahnen ließ. Dann versorgte Partain den großen Mann mit einem Percodan und einem Bier, nachdem er sich vergewissert hatte, daß er per Taxi gekommen war und so auch verschwinden würde.
    Nun saßen sie an der Wohnzimmerbar; Partain trank ein Frühstücksbier und lauschte dem von Alkohol und Percodan inspirierten Monolog des falschen Boten, der zugab, eigentlich David Laney zu sein, 36, Absolvent der University of California, L.A., Jahrgang ’79, Examen in Politologie, obgleich er sich nicht die Bohne für Politik interessiert, damals aber angenommen hatte, das müßte eine gute Möglichkeit sein, Frauen kennenzulernen. Und so hatte er tatsächlich Jessie getroffen, anno ’88 bei der

Weitere Kostenlose Bücher