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Die im Dunkeln

Die im Dunkeln

Titel: Die im Dunkeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
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präzisierte Konsequenzen einzustellen; diese würden, wie der Reporter sich ausmalte, »mit der Streckbank beginnen, mit Daumenschrauben weitergehen und gnädig enden mit einer Variante der asiatischen Bastonade«.
    Der Reporter lieh sich Geld von seiner Credit Union, zahlte und besuchte ein paar Tage später Emory Kite an dessen gemietetem Schreibtisch im Büro eines Scheidungsanwalts im dritten Stock des alten Bond Building, Ecke 14th und New York Avenue, N.W. Er fand dort »einen kleinen Mann, etwas größer als ein großer Jockey, mit den Augen eines amüsierten Henkers, dem Gesicht des jungen Mr. Punch, und Alleineigentümer dessen, was wie die Amtsstimme der Hölle klingt«.
    Der gezeichnete Artikel – fast ein Viertel einer Innenseite – stand unter dieser dreispaltigen Überschrift:
     
    SOLLEN IHRE SCHULDNER SCHNELL ZAHLEN?
    VERSUCHEN SIE’S MIT DER AMTSSTIMME DER HÖLLE
     
    Der Text gab nur knappe Auskünfte über Kite und notierte, daß er 1961 mit 19 Anniston, Alabama, auf das vage Versprechen hin verlassen hatte, daß jemand ihm einen Job als Liftführer im Capitol besorgen würde. Er erreichte Washington mit einem Anzug, einem High-School-Zeugnis und seiner Schreckensstimme, die er angeblich mit 13 bekommen hatte, als man ihm eine Halsentzündung mit einem Hausmittel behandelte, das nach Terpentin schmeckte.
    Kite kriegte seinen Liftjob nicht, fand aber Arbeit bei einer Schuldenagentur, die darauf spezialisiert war, Bundesbedienstete zu scheuchen, die mit Kreditraten im Rückstand waren. Seine Stimme machte ihn bald zum Star der Agentur, und nach fünfeinhalb Jahren besorgte sich Kite eine Lizenz als Privatdetektiv. Bald darauf verließ er die Agentur und machte sich selbständig, wie er sagte.
    Da es nur um ein kleines Feature ging, sah der Reporter des ›Washington Star‹ keinen Grund, tiefer zu schürfen, und drei Monate später verließ er die Zeitung, um an der University of Nebraska in Lincoln Journalistik zu unterrichten. Aber auf ein bloßes Gefühl hin schürfte einer der Leser der Story tiefer und entdeckte etwas, was er später als »reichhaltige und scheußliche Goldader« bezeichnete.
    Der Tiefschürfer war ein junger Army-Major, frisch aus Vietnam zurück. Seine Aufgabe im Pentagon war die Entwicklung einer neuen, besseren Methode, Vietnamkriegsdeserteure aufzuspüren, die meisten von ihnen Wehrpflichtige. Der Major hatte seine Vorgesetzten dazu gebracht, ein kleines Pilotprogramm zu finanzieren, das zivilen Kopfgeldjägern 200 $ für jeden aufgefundenen Deserteur zahlen sollte. Bei Emory Kites erstem und einzigem Besuch im Pentagon hatte er Major Walker L. Hudson gefragt, ob er für die 200 $ »die Jungs bloß finden soll oder finden und herbringen, auch wenn sie nicht wollen«.
    »Sie finden, wir holen«, sagte Major Hudson.
    Kite begann seine Jagd mit einer von der Army gelieferten Liste der Namen und letzten bekannten Adressen von hundert Deserteuren. Innerhalb einer Woche hatte er telefonisch 73 von ihnenaufgetrieben und allein mit seiner Höllenstimme 64 von den 73 dazu gebracht, stillzusitzen, bis ein Bundesmarshal oder die Militärpolizei sie holen kam.
     
    22 Jahre später blickte der 51jährige Emory Kite mit seinen noch immer amüsierten blauen Augen von einem Big Mac auf und fragte: »Wieso müssen wir uns hier jottwedeh in Silver Spring treffen und Hamburger essen, wo wir doch auch was Anständiges bei Zeibert haben könnten?«
    »Weil ich niemanden kenne, der um Viertel vor drei bei McDonald’s Mittag essen würde, vor allem nicht bei McDonald’s in Silver Spring.«
    Anschließend biß Colonel Ralph Millwed zum zweiten und letzten Mal in seinen Viertelpfünder und legte ihn zurück aufs Tablett, um ihn nie wieder anzufassen.
    »Und wie geht’s General Hudson so?« fragte Kite, den Mund voll Hamburger und Pommes.
    Millwed schaute weg. »Gut.«
    »Ich hab ihn schon lang nicht mehr gesehn.«
    »Drei Jahre, sieben Monate und dreizehn Tage«, sagte Millwed; noch immer sah er sich im fast leeren Restaurant um. Er tat dies, bis er annahm, Kite habe sein Kauen mit offenem Mund beendet. Als er ihn anschaute, sah er Kites Hand über dem weggelegten Viertelpfünder schweben.
    »Essen Sie das noch?« fragte Kite.
    »Nein.«
    »Dann kann ich es ja nehmen«, sagte Kite, schnappte sich den Rest, nahm einen großen Bissen und sagte: »Ich und der General, wir haben uns ja mal richtig gut verstanden, wissen Sie.«
    Der Colonel blickte wieder weg und sagte: »Das bereden wir

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