Die im Dunkeln
ging sie zu ihrer großen Handtasche, nahm die Videokassette heraus, musterte sie kurz und sagte: »Ich muß zurückspulen.« Sie schaltete die Geräte ein, schob die Kassette in den Recorder und drückte REWIND. »Wollen Sie ein Bier oder so was?« fragte sie.
»Ich glaub nicht«, sagte Patrokis.
Sie saßen nebeneinander in den Sesseln und schwiegen, warteten auf das Ende des Rückspulens. Dann drückte sie PLAY auf der Fernbedienung. Auf dem Schirm erschien das Motelschlafzimmer in Großaufnahme. Es gab keinen Ton, und die Kamera bewegte sich nicht. Dann fielen Shawnee Viar und Colonel Ralph Millwed aufs Bett, nackt bis auf ihre Stiefel. Das zweiköpfige Publikum betrachtete schweigend das Band. Als es zu Ende war, schaltete sie per Fernbedienung ab, wandte sich dann Patrokis zu und fragte: »Kennen Sie ihn?«
»Colonel Ralph Waldo Millwed. Wer hat da wen aufgerissen?«
»Es war so was wie beiderseitige Wahl, bei den Tiefkühlpizzas im Georgetown-Safeway. Wisconsin. Er hat gemeint, ich wüßte nicht, wer er ist; wußte ich aber, von dem Foto, das Dad mir gezeigt hatte. Er wußte natürlich sehr genau, wer ich bin.«
»Was ist dabei rausgekommen?«
»Nach dem Sex? Er hat gedroht, eine Kopie nach Langley zu schicken; sein Gesicht würde irgendwie unkenntlich gemacht darauf.«
»Es sei denn, Sie machen was?«
»Jeden registrieren, den Hank trifft, anruft, dem er schreibt oder faxt, und zwei telefonische Berichte pro Tag – einen mittags, einen um Mitternacht.«
»Was haben Sie gesagt?«
»Ich hab ihn mit seinem Namen angeredet, ihm gesagt, daß mein Mann an Aids gestorben ist, was stimmt, und daß ich HIV-positiv bin, was nicht stimmt. Ich hab ihm gesagt, er soll Hank und mich in Ruhe lassen, sonst schick ich das Band der Army, mit einem Nachweis, daß ich HIV-positiv bin.«
Patrokis starrte sie lange an, ehe er sagte: »Sie haben Glück.«
Sie verzog das Gesicht. »Glück?«
»Daß Sie noch leben«, sagte er.
27. Kapitel
Am nächsten Morgen um 5.23 Uhr, wie nach Fahrplan, hörte Edd Partain aus der Küche das leise Klirren von Tasse gegen Untertasse. Wieder erhob er sich leise aus dem Bett der schlafenden Jessica Carver, zog Hose und Bademantel an und ging barfuß in die Küche, wo die Braun-Kaffeemaschine blubberte und General Winfield schon zwei Tassen und Untertassen hingestellt hatte.
Sie murmelten ihre Morgengrüße und sahen stumm zu, wie die Maschine Kaffee in die Glaskanne träufelte. Als genug für zwei Tassen da war, füllte der General eine, reichte sie Partain, füllte dann die eigene. Sie setzten sich an den alten narbigen Frühstückstisch; bis nach den ersten paar Schluck redete keiner.
Der General sagte: »Patrokis hat mich gegen Mitternacht in der Klinik angerufen. Drei Uhr früh für ihn. Henry Viar ist tot. Die Polizei in Washington hält es für Selbstmord. Patrokis ist anderer Meinung – privat. Er meint, jemand hat Viar ins Herz geschossen, mit Henrys eigener Waffe. Zweiunddreißiger Halbautomatik.«
»Tut mir leid«, sagte Partain, verblüfft darüber, daß es ihm tatsächlich leid tat. »Wer hat ihn gefunden?«
»Seine Tochter. Shawnee.«
»Wann?«
»Gegen halb fünf nachmittags. Ostküstenzeit. Halb zwei hier. Sie muß ihn entdeckt haben, als wir mit Mr. Kite beim Essen waren.«
»Die Tochter wollte Sie bei VOMIT anrufen und hat statt dessen Nick erwischt?«
Der General nickte.
»Tja, Nick ist zweifellos Experte für Selbstmord.«
DerGeneral nickte wieder, trank mehr Kaffee und sagte: »Henry hat eine kurze unsignierte Notiz in der Schreibmaschine hinterlassen. Sie lautet: ›Schnauze voll? Probier’s mit Selbstmord. Wie ich.‹«
Partain schüttelte den Kopf. »Klingt nach jemand, der versucht, nach Viar zu klingen.«
»So ist es«, sagte der General; er stand auf, ging zur Kaffeemaschine, goß sich eine frische Tasse ein, füllte Partains nach, setzte sich wieder an den Tisch und sagte: »Da ist noch mehr. Es betrifft Shawnee Viar und Colonel Millwed.«
Partain schien etwas sagen zu wollen, entschied sich dagegen und lauschte vier Minuten lang stumm dem Bericht des Generals, einer präzisen, nüchternen Geschichte über Motel-Sex am Nachmittag, einschließlich einer Darstellung, wie Shawnee Viar eine Bandkopie bekam.
Als er fertig war, fragte Partain: »Ist sie vom Motel sofort nach Hause gefahren?«
»Ja.«
»Dann hätte Millwed nicht ...«
»Nein«, unterbrach der General. »Hätte er nicht. Patrokis nimmt an, wer auch immer die Kamera im Nebenzimmer des
Weitere Kostenlose Bücher