Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die im Dunkeln

Die im Dunkeln

Titel: Die im Dunkeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
Vom Netzwerk:
mehreren Sekunden sagte Patrokis: »Die ruf ich an, wenn ich da bin.«

26. Kapitel
    Das Haus 3219 Volta Place in Georgetown war genau da, wo Nick Patrokis, gebürtiger Washingtoner, gedacht hatte – gegenüber der Stelle, wo das alte Zweite Polizeirevier gestanden hatte, ehe man es vor langer Zeit abgerissen hatte, um Platz zu schaffen für Häuser, die groß genug waren, um etliche Bundesrichter zu befriedigen, gelegentlich ein Kabinettsmitglied, den unvermeidlichen New Yorker Multimillionär und sogar, vor Jahren, die Schwiegermutter eines Präsidenten.
    Patrokis (ohne Helm) fuhr seine elf Jahre alte Harley über den Kantstein aufs Trottoir, schaltete aus, nahm die Schutzbrille ab und stopfte sie in eine Tasche seiner Daunenjacke. Kurz nach 17 Uhr war es fast dunkel, ein Grad unter Null, und die Laternen waren eben eingeschaltet worden, was es Patrokis möglich machte, Nummer 3219 zu begutachten, ein kleines zweigeschossiges Backsteinhaus, blaßgelb gestrichen mit weißen Kanten. Es hockte auf einem sechs Meter breiten Grundstück, und er nahm an, daß es zwischen 1840 und 1870 gebaut worden war. Die Haustür war dunkelgrün lackiert.
    Patrokis klingelte; Sekunden später öffnete sich die grüne Tür. Shawnee Viar trug noch immer Jeansrock, weißes Herrenhemd und Stiefel mit Klettverschluß. Sie blickte ihn stumm an, registrierte die schartige Narbe, das Kopftuch und den Ring im Ohr.
    Sie sagte: »Gefällt mir, der Ring. Kommen Sie rein.«
    In der Diele zog Patrokis seine Jacke aus, sah sich um, bemerkte den regierungsamtlichen Hutständer, und als Shawnee Viar nickte, hängte er die Jacke neben ihren alten blauen Mantel.
    »Hier drinnen«, sagte sie, wandte sich um und ging voran ins Wohnzimmer. Patrokis folgte, blieb aber kaum zwei Schritt im Zimmerstehen. Er sah sich sorgfältig um, ließ sich Zeit, registrierte den feuerlosen Kamin, das zusammengewürfelte Mobiliar, die vollgepfropften Bücherregale und zuletzt den Toten im alten Sessel aus Leder und Eiche mit den breiten hölzernen Armlehnen.
    »Haben Sie was angefaßt?« sagte er.
    »Ich hab ihn zum ersten Mal seit, ich weiß nicht, zehn Jahren angefaßt – oder fünfzehn? Ich hab am Hals nach dem Puls gefühlt. Es gab keinen.«
    Patrokis ging langsam zu Henry Viars Leiche, starrte auf sie hinab und auf die Halbautomatik, die auf dem Boden lag, gleich neben der herabhängenden rechten Hand des Mannes. Dann wandte er sich ab und las die eine Zeile auf dem Blatt Bankpost in der Reiseschreibmaschine. Mit dem Rücken noch immer zu Shawnee Viar, fragte er: »War er versichert?«
    »Ich nehm’s an. Meine Mutter war’s jedenfalls.«
    Patrokis drehte sich um. »Ihre Mutter?«
    »Ich hab sie gefunden, als sie sich erschossen hat. Aber das war oben im Schlafzimmer. Das ist, ich weiß nicht, ungefähr fünfundzwanzig Jahre her – neunzehnhundertachtundsechzig. Ich war zehn und grad aus der Schule nach Haus gekommen. Sie hat sich da reingeschossen.« Shawnee Viar tippte sich mit dem Zeigefinger an die rechte Schläfe. Sie drehte sich um, blickte zur Pistole auf dem Teppich, dann hoch zu Patrokis. »Ich glaube, die haben sogar dieselbe Waffe benutzt. Seltsam, was?«
    »Ziemlich«, sagte Patrokis; er hockte sich nieder, um den Toten zu inspizieren. »Wär es Ihnen lieber, wenn’s kein Selbstmord wäre, sondern jemand ihn erschossen hätte?«
    »Hab ich die Wahl?«
    »Vielleicht«, sagte er. »Wenn Leute sich so ins Herz schießen, haben sie fast immer beide Daumen am Abzug. Müssen sie nicht, aber die meisten tun’s. Und wenn sie sich dann so erschossen haben, fällt die Waffe normalerweise in den Schoß oder zwischen den Knien auf den Boden.« Er machte eine Pause. »Außer, sie tragen Röcke.«
    »Sind Sie Experte?« sagte sie. »So was wie ne Autorität?«
    »Ich hab mal acht Mann untersucht, die sich ins Herz geschossen hatten, und zweiundzwanzig andere, die sich die Knarren in den Mund gesteckt hatten, die dreckige Variante.«
    »Was waren Sie? Kriminaler?«
    Er schüttelte den Kopf. »Bloß einer, der in Vietnam rumgeschickt wurde, um Selbstmorde zu untersuchen. War eine Art Strafdienst. Sechsunddreißig hab ich untersucht.«
    »Zweiundzwanzig und acht sind dreißig«, sagte sie. »Nicht sechsunddreißig.«
    »Die anderen sechs waren Morde«, sagte Patrokis und wandte sich ab, um die Notiz des Selbstmörders noch einmal zu lesen.
    »Was hatten Sie angestellt, daß man Sie bestraft hat?« sagte sie.
    Immer noch mit dem Rücken zu ihr, sagte er: »Ich habe

Weitere Kostenlose Bücher