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Die im Dunkeln

Die im Dunkeln

Titel: Die im Dunkeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
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die ungeheuren Kosten der Kandidatur für ein öffentliches Amt. Millicent Altford lauschte, meist stumm, und aß ihre Krebspastete. Als sie fertig war, schob sie den Teller ein paar Zentimeter von sich, beugte sich ein wenig vor und unterbrach den Abgeordneten mit der Frage: »Möchten Sie wirklich wissen, warum Sie hier in Washington sind und Joey Sizemore nicht?«
    Der Abgeordnete witterte eine Falle, verzog das Gesicht und sagte: »Ich bilde mir gern ein, weil ich die bessere Kampagne gemacht habe.«
    »Was wissen Sie beide wirklich über Sizemore?«
    »Er war so ungefähr der letzte Big-Band-Congressman«, sagte Will MacArthur und blickte überrascht drein, als niemand kicherte.
    »Ja, stimmt«, sagte sie. »Scheiße, Joey ist so alt, daß er sich noch an Herbert Hoover erinnern kann, und die Wirtschaftskrise ist für ihn fast vorgestern. Als er das erste Mal gewählt wurde, anno vierundfünfzig, war er vorher Organisationsleiter der Lagerhaus-Arbeiter in der CIO gewesen. Fragen Sie heute mal den Durchschnittstypen, wofür CIO steht, und wahrscheinlich sagt er Ihnen Chief Information Officer.«
    »Was heißt es noch mal?« sagte MacArthur. »Fällt mir grad nicht ein.«
    »Schlagen Sie’s nach«, sagte sie.
    »Wir alle kennen Joeys großartige Leistungen«, sagte der Congressman. »Wir haben weiß Gott genug darüber gehört. Aber die Wahrheit ist, er ist einfach alt geworden und hat den Durchblick verloren. Das kommt vor.«
    »Er hat den Durchblick nicht verloren«, sagte sie. »Er hatte nicht genug Geld. Sie haben dreimal mehr als er ausgegeben, für die Vorwahlen, und die allgemeinen Wahlen hatten Sie dann in der Tasche. Und vielleicht kommen wir darauf noch zurück, aber zuerst erzähle ich Ihnen etwas über mich und Joey Sizemore, bevor er in den Kongreß kam.«
    MacArthur schaute auf seine Uhr; er versuchte nicht einmal, dies unauffällig zu tun.
    Altford grinste ihn an. »Haben Sie je vom Magazin ›Liberty‹ gehört, Will?«
    »Natürlich.«
    »Glaub ich nicht. Also, ›Liberty‹ hatte immer eine kleine Zeitangabe über jedem Artikel. Lesezeit drei Minuten zweiundzwanzig Sekunden – oder sieben Minuten vierzehn Sekunden. Die Zuhörzeit für die Geschichte über Joey Sizemore und mich wird sechs Minuten neunzehn Sekunden betragen; hören Sie also auf, unruhig herumzurutschen.«
    »Ich hab mich immer schon für politische Geschichte interessiert«, sagte MacArthur.
    »Nein, haben Sie nicht«, sagte sie. »Sie haben sich ein bißchen dafür interessiert, seit der Congressman hier Sie angeheuert hat, aber vorher waren Sie vor allem interessiert an Nachlässen, treuhänderischen Hinterlegungen, Versicherungen, Hypotheken und Bebauungsplänen.«
    Der Abgeordnete grinste. »Hat ihre Hausaufgaben gemacht, Will.«
    »Worauf Sie sich verlassen können«, sagte Altford. »Jedenfalls, neunzehnhundertzweiundfünfzig hatte ich grade das College hinter mir und arbeitete bei Foote, Cone & Belding in Chicago. Ich hatte beschlossen, das Land würde zum Teufel gehen, wenn nicht Adlai Stevenson Präsident würde. Deshalb bin ich zum Stevenson-Hauptquartier in Chicago gegangen und habe meine Dienste angeboten. Nach langem Hickhack hat man mich schließlich zu einem vorgelassen, der vielleicht stellvertretender Wahlkampfleitungsassistent war. Es war ein typisches Wahlkampfbüro für damals. Ein riesiger Raum. Jede Menge Schreibtische. Schreibmaschinen. Klingelnde Telefone. Höllisch heiß. Lärm. Und dann saß da dieser fünfzigjährige Trottel hinter einem der Tische.
    Neben ihm saß ein glatter Rotschopf, etwa dreißig oder einunddreißig. Ich sag dem Trottel, wie ich heiße und daß ich bei der Kampagne helfen will, und er sagt mir, sie stellen keinen ein. Ich sag ihm, ich will stundenweise umsonst arbeiten, und er sagt, ich klinge nicht wie jemand aus der Gegend. Ich sag ihm, das liegt daran, daß ich aus Dallas komme, nicht von hier, aber ich arbeite bei Foote, Cone und so weiter.
    Dann fragt mich der Trottel, wer mich denn geschickt hätte, und ich will ihm gerade sagen, niemand, als der Rotschopf sagt: ich hab sie geschickt.‹
    Der Trottel sagt: ›Tja, wenn du sie schickst, dann such du ihr auch nen Platz.‹
    Der Rotschopf ist natürlich Joey Sizemore, und er bringt mich nach draußen; wir schnappen uns ein Taxi und fahren zum alten Morrison-Hotel, das vor Jahren abgerissen worden ist. Wir nehmen den Aufzug in den zehnten Stock und gehen in einen großen Raum mit zwei Schreibtischen, jeder mit zwei Telefonen,

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