Die in der Hölle sind immer die anderen
war Florian bereits privat krankenversichert, verfügte über ein Wertpapier-Depot in Liechtenstein, und von der Wiege bis zur Wickelkommode waren nur die besten Designerstücke aus massiver, unbehandelter Erle angeschafft worden. Und wenn ich ihm hundert Male gesagt habe, daß er das Kind nicht immer nach Strich und Faden verwöhnen soll, so muß ich doch zugeben: Michael war ein so verständnisvoller, geduldiger und liebevoller Vater, wie ich nie einen zweiten gekannt habe. Ich wundere mich bis zum heutigen Tag, daß ein Mensch, der von seinem eigenen Vater bis zum Abitur verprügelt worden war, dessen Mutter, chronisch unsicher und depressiv, ihr Leben zwischen Kindern, Küche und Kirche verbrachte hatte, der zwischen Großeltern, Tanten, Kindergärten und Heimen hin- und -hergeschoben worden war, so viel Geduld und Liebe für ein Kind aufbringen konnte - aber er konnte es. Florian war von der Geburt an sein ein und alles.
Mit um so größerer Vehemenz stürzte Michael sich nun auf diejenigen, die Florians Glück im Wege standen. Selbst seine Karriere trat dahinter zurück. Die sicherste Art, jetzt mit Michael aneinanderzugeraten, war die, wie Verwandte, Bekannte und Freunde bald feststellten, uns als Eltern eines behinderten Sohnes zu bedauern. Meine Mutter hatte ein Jahr Hausverbot, weil ihr stets alkoholisierter Freund zu fragen gewagt hatte, ob es für Kinder wie Florian besondere Heime gäbe.
Heute weiß ich, daß Florians verkrüppelter Fuß Michael viel mehr zu schaffen machte, als er es jemals eingestand. Und er veränderte sich unter dem Eindruck von Florians Geburt stärker, als ich es wahrhaben wollte. Aufbrausend und jähzornig war er schon davor gewesen, aber seine Phasen des Zorns hatten nie lange gedauert und waren immer wieder langen Intervallen eines beruflich angespannten, aber sonst vollkommen normalen Privatlebens gewichen. Nun jedoch loderte sein Zorn von Monat zu Monat öfter und stärker. Er beruhigte sich schwerer, und auch in Zeiten, wenn das Leben seinen ganz normalen Gang ging, spürte ich, wie eine stille, unterdrückte Wut schwelend in ihm fraß.
Ich weiß nicht, ob das psychologisch die richtige Erklärung ist, aber ich glaube heute, daß Michael meine ursprüngliche Absicht, unser Kind abzutreiben, und das spätere Versagen meiner Gynäkologin als einen Frontalangriff auf seine Lebensplanung begriff. Michael hatte gelernt, daß ein Junge aus einer Völklinger Arbeiterfamilie durch harte Arbeit, zähen Willen und systematisches Durchhalten im Leben weit kommen konnte. Er hatte sich auf Prüfungen vorbereitet und sie bestanden; er hatte sich um Stipendien beworben und sie erhalten; er hatte Chef werden wollen und war es geworden. Intelligenz, Fleiß, Können und schiere Beharrlichkeit hatten ihn beruflich an die Spitze gebracht. Aus all dem hatte er den Schluß gezogen, daß dem Tüchtigen im Leben, geht er nur planvoll und systematisch vor, alle Türen offenstehen. Und nun hatte das Leben ihm zum ersten Mal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er reagierte darauf so, wie er immer auf Schwierigkeiten reagiert: Er versuchte, sie gezielt auszuschalten.
So viel Liebe er nun Florian und zunehmend auch mir wieder entgegenbrachte, mit so viel Haß und Rachsucht verfolgte er hinfort diejenigen, die seiner Meinung nach Florian schadeten. Ganz oben auf seiner schwarzen Liste stand natürlich meine Frauenärztin. Sie hatte das Myom in meiner Gebärmutter nicht erkannt. Sie war daran schuld, daß ich fast gestorben und Florian behindert war. Schon bald nach der Geburt ahnte ich, daß er etwas gegen sie plante, aber ich wußte nicht was. Ich dachte natürlich an eine Schadenersatzklage, denn Michael hat beruflich jeden Tag mit Anwälten zu tun. Aber Michael hatte keine Klage im Sinn, zumindest am Anfang nicht.
Er wartete, bis Florian ein Jahr alt war. An einem Tag im Dezember ging er zu meiner Gynäkologin, die ich seit der Geburt nicht mehr gesehen hatte, setzte sich in ihr Wartezimmer, erfand irgendeinen Vorwand, wartete, bis er aufgerufen wurde, ging ins Sprechzimmer und schlug sie krankenhausreif. Einfach so. Er brach ihr den Kiefer und zwei Rippen, renkte ihr die linke Schulter aus und würgte sie, bis sie blau anlief. Am nächsten Tag rief er sie an und forderte sie auf, ihn bei der Polizei anzuzeigen. Er zwang mich, neben dem Telefon zu stehen und jedes Wort mitzuhören.
„Wenn Sie mich anzeigen“, sagte er zu ihr, „dann mache ich aus dieser Geschichte den größten
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