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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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ein Gutachten?“
    „Haben Sie jemals was von Frau Dr. Hannah Ziegler gehört?“ fragte Schirra.
    „Nein.“
    „Gut. Diese Frau Ziegler ist eine Reisende in Sachen Opferentschuldung. Sie erstellt psychiatrische Gutachten von Mördern und Triebtätern in ganz Deutschland. Immer für die Verteidigung, immer mit dem Ergebnis, daß der Täter nicht schuldfähig ist.“
    „Aber wie kann denn ...?“
    „Hören Sie, Ihnen läuft die Zeit davon. Die Verteidigung kann ein Gegengutachten anfertigen lassen, und das hat sie getan. Warum die Zitzelsberger die Ziegler genommen hat ist sonnenklar – weil sie Nicolai für schuldunfähig erklären wird.“
    „Aber wie kann denn irgendeine Psychologin behaupten, daß Nicolai schuldunfähig ist?“
    Schirra lachte kurz und unfröhlich.
    „Hier geht es nicht um Recht oder Unrecht, um Schuld oder Unschuld. Sie werden doch nicht glauben, daß die Ziegler nach einigen Stunden Aktenstudium und einer kurzen Plauderei mit Nicolai wirklich was Neues über ihn erzählen kann. Die will doch nur erreichen, daß Nicolai eine möglichst geringe Strafe bekommt, daß er diese Strafe nicht im Gefängnis, sondern in einer Therapie verbringt, und daß er so schnell wie möglich wieder rauskommt.“
    „Warum tut sie ...?“
    Schirra schnaufte hörbar durch die Nase. „Müssen Sie denn immer für alles den Grund wissen? Können Sie nicht einmal das tun, was ich Ihnen sage?“
    „Entschuldigung, ich ....“
    „Reden Sie heute noch mit Frobenius. Der hätte Ihnen längst sagen müssen, daß ausgerechnet die Ziegler als Zweitgutachterin bestellt worden ist.“
    „Haben Sie das Gutachten gesehen?“
    „Das brauche ich nicht. Die Ziegler tut seit zwanzig Jahren nichts anderes, als Kindermörder für unschuldig zu erklären. Jeder kennt die. Wir hatten sie vor Jahren schon mal hier, und in Mannheim weiß ich auch von einen Fall, wo sie das Gutachten geschrieben hat.“
    Ich rief sofort bei Frobenius an. Der fragte mich zuerst, wer uns überhaupt seine Privatnummer gegeben hätte und hielt mir dann einen Vortrag über seine Privatsphäre. Als ich ihm endlich sagen konnte, warum ich anrief, war er wie immer seelenruhig. Warum ich mich denn so aufregen würde? Natürlich wisse er von dem Gutachten, das läge ihm doch schon seit einer Woche vor.
    „Und was steht da drin?“
    „Nun, Frau Dr. Ziegler attestiert Nicolai aufgrund einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis eine aufgehobene Schuldfähigkeit. “
    Wie ich seine nasale Sprache und sein professorales Getue haßte. Warum konnte er mir nicht mit normalen Worten erklären, was das bedeutete.
    „Und das heißt?“
    „Das heißt, daß sie Nicolai für schuldunfähig hält. Sie schreibt weiter, daß sie deshalb keine Haftstrafe, sondern die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik für angemessen hält.“
    „Und was tun wir gegen dieses Gutachten?“
    „Was sollen wir dagegen tun? Die Verteidigung hat das Recht, ein eigenes Gutachten in Auftrag zu geben. Sie kann sogar ...“
    Ich war nun bereits am Schreien.
    „Erzählen Sie mir nichts von den Rechten der Verteidigung, erzählen Sie mir was von unseren Rechten. Können wir nicht verhindern, daß das Gutachten Teil des Verfahrens wird?“
    „Das hätten wir versuchen können, aber die Frist ist abgelaufen.“
     „Und Sie haben diese Frist verstreichen lassen, oder? Wissen Sie eigentlich, wer diese Frau Ziegler ist?“
    „Gut, sie hat vielleicht nicht den besten Ruf, aber es gibt ja ein offizielles Gutachten, das ...“
    „Was hat sie? Nicht den besten Ruf? Ist das alles, was Ihnen dazu einfällt, Sie verschissener Winkeladvokat?“
    Ich knallte den Hörer auf das Telefon. Was mußte eigentlich noch alles geschehen, bis endlich jemand merkte, was uns zugestoßen ist? Warum war denn niemand auf unserer Seite? Ich saß auf dem Sessel im Wohnzimmer neben dem Telefontischchen, wo ich jetzt immer saß, und weinte in mich hinein.
***
    Am nächsten Tag begann die Verhandlung um zehn Uhr. Die Verlesung des Gutachtens von Hannah Ziegler war der erste Punkt auf der Tagesordnung. Nach der Verlesung sollte sie als Sachverständige gehört werden. Als ich die ersten Sätze des Gutachtens gehört hatte, war mir klar, daß Schirra den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Das Gutachten war lang und gewunden, die Zusammenfassung am Schluß, und nur die wurde im Gerichtssaal verlesen, dafür um so prägnanter.
    „Der Angeklagte“, las der Vorsitzende monoton vor, „leidet an einer

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