Die in der Hölle sind immer die anderen
dem Geldausgeben und dem Lügen angefangen hat, muß er immer weitermachen, bis seine Konten überzogen und seine Kreditkarten gesperrt sind. Einige Wochen lang hat er das Gefühl, es nun wirklich geschafft zu haben. Die graue Industrieöde von Zeitz, der ungeliebte Stiefvater, die dauernden Mißerfolge in Schule und Beruf werden durch den Sommer 1992 in den Hintergrund und das Vergessen gedrängt.
„Ich wußte“, sagte er am siebten Verhandlungstag, „daß ich endlich das gefunden hatte, was mir zusteht. Ich hatte die Leute, die Umgebung, die Region gefunden, in der ich mich so bewegen konnte, wie ich wollte. Hier war ich mehr zu Hause als in Zeitz oder in Leipzig.“
Als er das gesagt hatte, schwieg Nicolai einen Augenblick lang und sah mit einem träumerischen Blick in den Gerichtssaal. Er ließ seine graublauen Augen durch den Saal schweifen, aber es war klar, daß er nichts wahrnahm außer dem Bild vor seinem Auge, das ihm einen erfolgreichen, strahlenden, reichen, fröhlichen Falko Nicolai zeigte, mit dem der wirkliche Nicolai nichts zu tun hatte. In diesem Moment, als ich sein leuchtendes Gesicht, den vollen, jubelnden Ton seiner Stimme, der nichts mehr mit dem Stottern der ersten Tage gemein hatte, sah und hörte, da begriff ich, daß Nicolai Menschen faszinieren konnte. Und das war der Mensch, das war das Gesicht, das waren die Augen, das war die Stimme, die Florian als letztes auf der Welt gesehen und gehört hatte.
***
„Hatten Sie eine sexuelle Beziehung mit Frau Hoffmann?“ fragte der Richter, als Nicolai aus seinem Trancezustand erwacht war.
„Ja, klar.“
„Haben Sie Frau Hoffmann zum Sex gezwungen?“
„Nein, nie ...“
„Die Zeugin Hoffmann behauptet das aber.“
In Nicolais Blick kehrte wieder jene Unruhe zurück, die gewöhnlich darin lag. Er rieb sich die Hände nervös an den Hosentaschen.
„Nein, das heißt ..., wir haben es wild getrieben, aber das ging von ihr aus, sie ist so eine, der Schläge Spaß machen, die braucht das.“
Der Vorsitzende war nicht in der Lage, mehr aus Nicolai herauszubringen.
Nicolais Glück währt vier Monate lang, dann ist es so schnell zu Ende, wie es begonnen hat. Monja Hoffmann findet heraus, daß Nicolai nur Küchenhelfer ist, ihr Vater kommt über Beziehungen an sein Strafregister heran. Sie bricht den Kontakt mit ihm ab. Man konnte Nicolai den Schmerz und die Empörung über die Art und Weise, wie seine Freundin die Beziehung beendete, noch im Gerichtssaal anhören.
„An einem Abend ging ich zu ihr, wie immer, und sie läßt mich nicht mehr rein. Ich verstand das überhaupt nicht. Wir waren verabredet, und normalerweise war sie immer zuverlässig. Ich stehe also vor ihrer Tür und läute, aber sie macht nicht auf. Ich hab eine Viertelstunde geklingelt wie ein Verrückter, aber es war nichts zu machen. Dann bin ich nach Hause gefahren und hab sie von da aus angerufen. Ich hatte so ein Gefühl, daß sie zu Hause ist, und ich hatte auch so ein Gefühl, daß sich irgend etwas anbahnte, ich wußte nur nicht was.“
„Warum hatten Sie so ein Gefühl?“ fragte der Richter.
„Weil am Vortag der Chef zu mir gesagt hatte, eine Frau hätte angerufen und ihm erzählt, daß ich in ganz Saarbrücken rumerzählen würde, ich sei hier der Chef. Und dann fragte er mich, ob ich so was rumerzählen würde, und ich sagte nein.“
„Aber Sie haben doch Leuten erzählt, sie seien der Chef?“
„Ich hatte es aber nicht rumerzählt , ich hatte es nur Monja gesagt. Und genau deshalb, weil sie die einzige war, die das annahm, war mir sofort klar, daß die den Chef angerufen hat. Und deshalb wollte sie mich nicht mehr sehen.“
„Und was geschah dann?“
„Ich bin halbe Tage vor ihrem Haus gestanden, habe sie immer angerufen, habe Freunde und sogar ihre Eltern angerufen, bis ich sie endlich erreicht habe. Das war dann schon in der nächsten Woche. Ich habe sie angefleht, mir wenigstens zu sagen, was los sei, und dann haben wir uns noch einmal getroffen. Und da hat sie mit mir dann abgerechnet. Ich war total erstaunt, was die alles wußte. Sie hatte die Pfändungsbescheide gesehen vom Gerichtsvollzieher, weil ich ja die Sachen, die ich mir gekauft hatte, nicht bezahlen konnte, sie wußte, daß ich keine Autoversicherung hatte, und sie sagte mir auf den Kopf zu, daß mein Fernseher und meine Stereoanlage geklaut wären.“
„Wie haben Sie darauf reagiert?“
„Da drauf? Das wäre gar nicht so schlimm gewesen. Das habe ich schon öfter gehört, daß
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