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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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noch nicht daheim waren.

7.

    Pünktlich um halb sieben rasselte der Wecker. Martha erhob sich schwerer als sonst. Wilhelm Ströndle hatte in der Nacht viermal die Absicht gehabt, zu sterben, und viermal hatte sie ihm hilfreich Beistand geleistet, um ihn am Leben zu erhalten. Wenn ihr etwas das Aufstehen erleichterte, so war es die grimmige Freude, den Enkel des Kanzlers und Prinzgemahls von Japore aus dem Bett jagen zu dürfen. Sie riß zunächst einmal das Fenster auf und ließ die kühle Morgenluft in das Schlafzimmer hereinströmen.
    „Heda, Wilhelm!“ sie rüttelte an ihm, „es ist halb sieben vorbei — auf stehen!“
    Er knurrte, aber sie ließ nicht locker und zerrte ihn halb zärtlich und halb zornig an den Haaren. Daß er sich mal einen angedudelt hatte, nahm sie ihm nicht übel; es war in der langen Ehe selten genug vorgekommen.
    Er stöhnte nach Wasser.
    „In der Leitung gibt es genug. Und halt auch den Schädel darunter!“
    Er tastete blind nach der Brille und richtete sich halb auf: „Ich bleibe im Bett...“
    „Das könnte dir so passen! Gestern noch auf stolzen Rossen und heute durch die Brust geschossen, wie?“
    „Ich bleibe im Bett!“ wiederholte er störrisch.
    „Sauf nicht so viel, wenn du es nicht verträgst. Jedesmal hat man mit dir am nächsten Tage seine liebe Not..
    „Ich gehe überhaupt nicht mehr ins Geschäft! Verstehst du? Nie mehr!“
    Martha wurde plötzlich sehr wach und munter. Sie sah ihn an: „Was soll das heißen?“
    Wilhelm Ströndle angelte nach dem Oberbett und hüllte sich bis zum Halse ein. Er sah blaß und verkatert aus.
    „Das soll heißen, daß wir gekündigt haben“, antwortete er mürrisch, aber er vermied es, Martha in die Augen zu sehen.
    „Wer ist wir?“ fragte sie und spürte eine Schwäche in den Beinen, die sie zwang, auf dem Bettrand Platz zu nehmen.
    „Charlotte und ich!“
    „Wann?“
    „Gestern nachmittag.“ Er starrte gegen die Decke.
    Martha ließ die Hände in den Schoß sinken und nickte ein paarmal kraftlos vor sich hin, als hätte sie genau das und nichts anderes erwartet. Das Gas war noch nicht bezahlt, und das Licht war noch nicht bezahlt, die Rate für die Couch war fällig, und sie hatte noch wenig Geld im Hause.
    „Hat Werner vielleicht auch bereits sein Studium auf- ‘ gegeben?“ fragte sie, aber es lag keine Ironie in ihren Worten.
    „Das weiß ich nicht“, knurrte er, „danach mußt du ihn schon selber fragen.“
    Sie nickte fast höflich und schloß die Tür hinter sich geräuschlos zu. Sie war plötzlich zum Umfallen müde. Sie war so erschöpft, als hätte sie drei Tage und drei Nächte lang kein Auge zugemacht. Sie wusch sich Hände und Gesicht, aber die prickelnde Kälte des Wassers erfrischte sie nicht.
    Werner war schon wach, als sie die Küche betrat. Das geschah nicht oft, zumal dann nicht, wenn er wie gestern erst nach Mitternacht heimgekommen war. Vielleicht ließen ihn die zukünftigen Millionen nicht schlafen. Er merkte ihr auf den ersten Blick an, daß etwas Unangenehmes geschehen war.
    „Weißt du, daß Papa und Charlotte ihre Stellungen aufgegeben haben?“
    „Ja, ich erfuhr es zufällig“, antwortete er mit spröder Stimme und machte sich auf den Ausbruch einer neuen Familienszene gefaßt. Er schwang die Beine aus dem Bett und angelte seine Turnschuhe heran.
    „Du stehst schon auf?“ fragte Martha mit übertriebenem Erstaunen.
    „Weshalb sollte ich nicht aufstehen?“
    „Nun, ich dachte, du hättest dein Studium vielleicht auch schon aufgegeben. — Wir haben es doch nicht mehr nötig, zu arbeiten.“
    Werner nagte an seinen Lippen: „Ich weiß, daß du es nicht ganz leicht hast, Mama“, sagte er schließlich; „du kommst dir wohl wie ein Nüchterner unter lauter Betrunkenen vor, hm, ist es nicht so ähnlich? — Aber ich meine, du bist vielleicht ein bissel zu hart mit uns. Ich will dich um Himmels willen nicht kränken! Aber du hast vielleicht nicht genug Phantasie, um dir vorzustellen, was diese Erbschaft bedeutet. Man kann darüber schon ein wenig verrückt werden.“
    „Nicht genug Phantasie!“ unterbrach sie ihn mit einem kleinen Hohngelächter; „vielleicht habe ich nicht genug Phantasie, um mir vorzustellen, was man mit solch einer Millionenerbschaft anfangen kann. Aber soviel Phantasie habe ich, um genau zu wissen, wie lange ich noch mit dem Geld auskomme, das ich noch in der Kasse habe!“
    „Mach dir keine Sorgen, Mama! Wir werden eben zusammenhalten! Charlotte will im Hause

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