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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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den Tisch. Und Charlotte berichtete.
    Er gestand, daß es die tollste Geschichte sei, die er je gehört habe, und zerpflückte einen Zahnstocher zwischen den Fingern — „aber daß sie gerade euch passieren mußte! Gerade dir...!“ Er strählte sich das Haar mit allen Fingern zurück.
    „Weshalb nicht mir?“
    „Lottchen, Lottekind!“ begann er mit sanfter Stimme, aber mit einem Ausdruck im Gesicht, als spräche er mit Daumenschrauben an den Fingern, „verstehst du denn nicht, was diese Geschichte für uns beide bedeutet? Du, eine Millionenerbin — und ich ein armes Luder. Was ich auch immer verdienen werde, gegen eure Millionen wird es niemals mehr als ein Trinkgeld sein. Und das paßt doch nicht zusammen, Kind. Da stimmen doch die Voraussetzungen nicht mehr, unter denen wir zusammenleben wollten...“
    „Das ist Unsinn, Helmuth! Das verstehe ich nicht! Wenn du ein steinreicher Mann wärst, dann würde ich nicht eine Sekunde zögern, dich zu heiraten...“
    „Das ist doch etwas ganz anderes!“
    „Nein, das ist nichts anderes, das ist genau dasselbe, nur umgekehrt!“
    Er faltete ergeben die Hände und bemühte sich, ganz ruhig zu bleiben: „Das ist Frauenlogik, Charlottchen, und dagegen kann man als Mann sagen, was man will, du siehst es doch nicht ein.“
    „Mich ändert diese Erbschaft nicht, und sie ändert auch nichts an meiner Liebe zu dir! Im Gegenteil, jetzt werde ich dafür sorgen, daß wir bald heiraten, am liebsten morgen!“
    „Morgen — morgen wolltest du mir Modell stehen. Jetzt fällt es mir ein, was ich dich schon vor einer Stunde fragen wollte. Weshalb kannst du morgen früh zu mir kommen? Du bist doch tagsüber im Betrieb...“
    „Nicht mehr...“
    „Was heißt das?“
    „Ich habe gekündigt.“ — Sie sagte es ein wenig kleinlaut.
    Er sah sie mit einem merkwürdigen Blick an und nickte fast beifällig, als hätte sie ihm mit ihrer Antwort nur etwas bestätigt, worüber er sich längst klar gewesen war.
    „Ich verstehe, ich verstehe vollkommen. Du hast es nicht mehr nötig, nicht wahr? Irgend jemand im Geschäft hat dich geärgert — eine Kundin oder die Direktrice, oder vielleicht sogar Herr Johann Buttersemmel in höchsteigener Person — und da hast du ihm natürlich das Handwerkszeug vor die eleganten Schuhe gefeuert, ist es nicht so?“
    Es lag keine Ironie in seinem Ton, eher eine leise Trauer. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn es Funken gegeben hätte. Seine Sanftmut war ihr unerträglich.
    „Ich hielt es nicht mehr aus!“ sagte sie wild.
    „Und trotzdem behauptest du, es hätte sich überhaupt nichts geändert. Nun sei einmal ehrlich, Charlottchen, aber die Frage ist fast überflüssig: hättest du deine Stellung auch aufgegeben, wenn die Erbschaft nicht gekommen wäre?“
    „Natürlich nicht...“
    „Also...!“ schloß er und lächelte ein wenig und griff nach seinem Glase, „trink mal, mein Liebling, komm, stoß an, dein Herr Urgroßvater soll leben! — Ich wäre gern dabeigewesen, als sie ihm den Kragen umdrehten. Ich glaube, dieser alte Knabe hat uns beiden mächtig in die Suppe gespuckt.“
    „Wie du redest! Es klingt wie eine Begräbnisrede...“
    „Es ist eine! — Aber lassen wir das! — Nehmen wir lieber noch eine Flasche. Heute ist mir so zumut, als ob ich mich ein bißchen besaufen müßte...“
    „Ohne mich! Es langt, wenn einer von der Familie betrunken heimkommt.“
    „Ich verstehe dich nicht, mein Liebling...“
    „Ach, Vater hat aus Mutters Wirtschaftskasse Geld genommen und ist damit ausgerissen.“
    Es war ein Unglück, daß er gerade den Rest seines Glases herunterkippte. Er verschluckte sich vor Lachen, daß er fast erstickt wäre. „Der Fluch der Millionen...“gurgelte er, und die Tränen liefen ihm aus den Augen.
    Wilhelm Ströndle war mit dem Zehnmarkschein in der Tasche im „Hatzfelder Hof“ gelandet, einer kleinen Wein- und Bierkneipe, die fast ausschließlich von den Bürgern der nächsten Nachbarschaft besucht wurde.
    Als Martha gegen elf Uhr fand, daß es an der Zeit sei, ihren Mann abzuholen, hatte Wilhelm Ströndle das sechste Viertel Wein hinter sich.
    Es war wirklich Zeit für ihn, ins Bett zu kommen. Er hielt sich zwar noch wacker aufrecht, aber die Beine wollten nicht mehr so recht, wie er wollte. Sein Blick war schon ein wenig glasig.
    Aber Martha und ihr Mann kamen glücklich nach Hause, und Martha konnte zu ihrer Beruhigung feststellen, daß der ganze Block bereits fest schlief und daß die Kinder bis auf Christa

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