Die indische Erbschaft
Interesses, da hört das Privatleben uff, und dagegen können Sie auch gar nischt machen, da bin ick zufällig besser orientiert als Sie, verehrte gnädige Frau...“
„Da ist die Tür!“ sagte Martha unmißverständlich und rückte mit erhobener Hand gegen Herrn Stratzki vor.
Der junge Mann hob zum letztenmal den Apparat und schoß blitzschnell ab. Es war das Bild, das am nächsten Tage mit der Überschrift „Multimillionärin greift Presse tätlich an“ im „Nacht-Expreß“ links oben auf der Titelseite erschien. Martha war nicht sehr glücklich getroffen. Ihre Hand, durch die Nähe des Objektivs ins Riesenhafte verzerrt, stach dem Beschauer ins Auge, und was sonst auf dem Bild zu sehen war, war ein tückisch-monströser Racheengel. Herr Stratzki aber hatte nicht nur Porträts aufgenommen, die Idyllen erschienen nur am Rande, sie umrahmten die Fotografie des Briefes aus England, der den Ströndles schon so viel Aufregung ins Haus gebracht hatte, und die Redaktion des „Nacht-Expreß“ hatte der Sensation eine ganze Seite eingeräumt. Am Abend läutete ein Bote, den Herr Stratzki mit einem schönen Gruß schickte, und überreichte ihnen das erste, vor wenigen Minuten aus der Rotation geschleuderte, noch druckfeuchte Exemplar.
Daß der Block, in dem sie wohnten, am nächsten Tage einem Bienenstock glich, in den man eine Rauchbombe geworfen hatte, war nicht verwunderlich. Im Treppenhaus rissen die Palaver, nachdem die Zeitung erst einmal reihum gegangen war, nicht mehr ab, und Martha hatte das Gefühl, Spießruten zu laufen, als sie der Einkäufe wegen die Wohnung verlassen mußte. Die anderen verkrochen sich natürlich und getrauten sich kaum mehr ans Fenster zu gehen, als sie bemerkten, daß unbekannte Passanten vor dem Hause stehenblieben und die Fenster suchten, hinter denen sich solch sagenhafter Reichtum verbarg. Unten, vor der Wohnung des Postassistenten Krapproth, standen die Damen des Hauses zusammen, ratschten und verstummten vor Neid, als Martha mit dem Einkaufsnetz in der Hand die Treppe herunterkam.
Sie mußte fast Gewalt anwenden, um dem Metzger Schwartz klarzumachen, daß sie nicht ein sechspfündiges Roastbeef, sondern nur ein halbes Pfund Hackfleisch für die Krautrouladen brauchte, die sie zum Mittag schmoren wollte.
„Krautwickerl, ich bitte Sie recht schön!“ schnaufte Meister Schwartz empört, „solch einen Fraß haben Sie doch nicht mehr nötig!“
„Herr Schwartz!“ wiederholte Martha fast weinend vor Wut, „es kann doch noch Monate und Jahre dauern, bis…“
„Ich weiß, ich weiß! Ich kann doch lesen, Frau Ströndle, mir brauchen Sie nichts zu erzählen. Und wenn es Jahre dauert! Sie brauchen mir bloß zu sagen, was Sie haben wollen, und ich schicke es Ihnen umgehend ins Haus!“
Ja, so begann es. Frau Martha war die erste, die die Folgen des Zeitungsberichtes zu spüren bekam. Der Familie stiegen unheilvolle Ahnungen auf, als der Briefträger mit der Nachmittagspost einen Briefstapel abgab, der viel zu groß war, als daß der kleine Briefkasten an der Tür ihn hätte fassen können. Unbekannte Absender wandten sich unter herzlichen Glückwünschen oder sogar unverschämt drohend mit Schenkungs- oder Darlehensforderungen an die frischgebackenen Millionäre. Die erwünschten Summen schwankten zwischen hundert und der Kleinigkeit von zehntausend Mark. Ein Angebot eines Erfinders unter dem Kennwort „Betriebsstoff aus der Wasserleitung“, sich an der Fabrikation eines geradezu revolutionierenden Kraftstoffes mit einer halben Million zu beteiligen, war ebenfalls darunter. Und die Karte eines Autovertreters, daß er sich morgen mit dem neuesten Modell zu einer Besichtigung und Probefahrt vorbeizukommen erlauben werde.
„Na los, dann verteilt mal die Millionen!“ kicherte Martha grimmig. Die Wohnung roch vom Mittagessen nach Kohl, aber sie getrauten sich nicht, die Fenster zu öffnen. Sie stellten sich tot und ertappten sich dabei, daß sie völlig idiotisch miteinander flüsterten.
„Da ist auch ein Brief für dich“, murmelte Wilhelm Ströndle kleinlaut und schob ihr ein schmales Couvert über den Tisch zu. Sie schlitzte es mit einer Haarspange auf; es enthielt nichts als eine kleine Karte, die vorn in feinem Druck den Namen Philipp Reiser, Inhaber der Firma Gebrüder Sebald, und auf der Rückseite in der Handschrift ihres Chefs ein paar Worte enthielt: „Gratuliert herzlichst und lacht am meisten darüber, auf den gestrigen Scherz hereingefallen zu
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