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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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etwas passierte, was in ihrer langen Ehe noch nie geschehen war. Aber Wilhelm Ströndle war kein gewalttätiger Mensch, nicht einmal dann, wenn es um die Ehre seines fürstlichen Urgroßvaters ging. Die Röte flutete aus seinem Gesicht zurück, er blitzte Martha durch die Brillengläser an und biß die Zähne zusammen.
    „Um diesen Mann verstehen und würdigen zu können“, sagte er zitternd vor Zorn, „bist du zu klein!“ — Er stelzte zum Büfett hinüber, riß die linke Schublade auf, in der die kleine Blechkassette mit dem Haushaltsgeld stand, öffnete sie und fischte einen Geldschein heraus. Dann verschwand er grußlos aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich ins Schloß. Die Zurückgebliebenen standen einen Augenblick wie angenagelt.
    »Der ist weg...“bemerkte Werner schließlich kopfschüttelnd.
    „Soll ich ihm nachrennen?“ fragte Christa ängstlich; sie sah verstört aus, und ihre Lippen zitterten. Mein Gott, es; ging sonst so ruhig bei ihnen zu, daß man sich das Leben manchmal etwas turbulenter wünschte. Aber jetzt war es fast zu lebhaft...
    „Laß ihn nur laufen!“ sagte Martha, „die zehn Mark wird er noch bitter bereuen.“
    „Und wir auch!“ murmelte Charlotte.
    „Da kann ich euch nicht helfen. Irgendwo muß das Geld wieder eingespart werden.“
    „Der Teufel soll den Kerl holen, der die Kartoffeln erfunden hat!“ sagte Werner düster und ahnungsvoll; „aber wie ist das nun, sollen wir daheim bleiben, oder dürfen wir ins Kino gehen? Ich muß schon sagen, ich persönlich hätte gegen einen Tapetenwechsel nichts einzuwenden. Unser trautes Heim geht mir in der letzten Zeit ein wenig auf die Nerven...“
    „Geht nur, Kinder, geht.“ Martha machte sich an ihre Hausarbeit, und Christa nahm den Nähkorb vor, um die Socken der Männer zu stopfen. Charlotte und Werner verließen die Wohnung.
    Auf der Treppe zog Charlotte ihre Börse aus dem Handtäschchen.
    „Nanu? Ich dachte, wir gehen zusammen ins Kino...“
    „Ich habe es mir anders überlegt“, sagte Charlotte und drückte ihm Geld in die Hand, „du brauchst es mir trotzdem nicht zurückgeben.“
    „Das nenn ich nobel!“ grinste er und ließ die Münzen in die Tasche klingeln; „dann also einen schönen Gruß an den Herrn Schwager in spe...“
    „Du merkst aber auch alles...!“
    „Nicht alles — aber einiges!“ Er hüstelte bedeutungsvoll und kniff ein Auge zu: „Sag mir einmal, wie willst du es Mama beibringen, daß du Herrn Buttersemmel Nadel und Faden vor die Füße geworfen hast?“
    Sie fuhr herum: „Woher weißt du das?“
    Er markierte einen etwas vertrottelten älteren Herrn: „Ein Vöglein hat in meinem Kamin ein Nestchen gebaut, das zwitschert mir manches Geheimnis zu...“
    „Laß den Theaterquatsch!“ fauchte sie ihn an, „wer hat es dir erzählt?“
    „Die blonde Monika mit den O-Beinen. Ich traf sie zufällig auf dem Heimweg. Aber bitte, nun sag mir endlich, wie du diese Geschichte unseren Herren Eltern beibringen willst.“
    Charlotte zögerte sekundenlang.
    „Papa weiß es schon“, sagte sie schließlich.
    „Was?“ stieß er ungläubig hervor, „er weiß es? Na, und?“
    „Er hat doch seinem Chef ebenfalls gekündigt!“
    Werner blieb stehen, als wäre er auf ein unsichtbares Hindernis aufgelaufen: „Jetzt werde ich glatt verrückt!“
    „Da kann ich dir leider nicht helfen“, meinte Charlotte kühl.
    „Lieber Gott“, murmelte er, „unsere Martha wird Augen machen!“
    „Vermutlich — aber es ist nun einmal geschehen und nicht mehr zu ändern.“
    Sie klemmte ihr Täschchen fester unter den Arm, nickte Werner zu und überließ ihn seiner Verblüffung und seinen Gedanken.
    Helmuth Krönlein erwartete sie am Löwenbrunnen vor dem Rathaus. Es regnete nicht mehr, aber das Wetter war noch immer kühl und unfreundlich. Charlotte entdeckte ihn schon von weitem und winkte ihm zu, aber er sah sie nicht. Den Kragen des Trenchcoat hochgeschlagen, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, lehnte er sich gegen die Marmorschale des Brunnens, in die vier Löwenhäupter ihre Wasserstrahlen spien.
    „So tief in Gedanken?“
    Er schrak beim Klang ihrer Stimme empor und schien aus einer fernen Welt auf die Erde zurückzukehren. „Der Weizen blüht!“ sagte er ein wenig atemlos und streichelte ihre Hand, „denk dir nur, Lottekind, ich soll für das Reisebüro Teschenmacher sechs Werbeplakate malen, Rom, Madrid, Paris, London, Sizilien und für eine Azorenfahrt... Was sagst du dazu? Die

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