Die indische Erbschaft
schneidern...“< er zögerte ein wenig, „nun ja, und ich verdiene mir auch ein paar Kröten, und die liefere ich dir eben ab...“
Über ihr Gesicht glitt ein flüchtiges Lächeln, obwohl ihr nach allem anderen als nach Lachen zumute war.
Sein Trost tat ihr gut, und die sorglose Unbekümmertheit, mit der er die Zukunft an sich herankommen ließ, hob auch ihren Mut. Und immerhin hatte sie noch einen Trumpf in der Hand: das Angebot von Gebrüder Sebald.
Sie nahm mit Werner zusammen den Kaffee und verließ auch mit ihm zusammen die Wohnung, nachdem sie für Christa einen Zettel auf den Küchentisch gelegt hatte, daß sie zeitig genug daheim sein werde, um das Essen zu kochen.
Im Vorzimmer des Chefs mußte sie lange warten, denn Herr Philipp Reiser, der Inhaber der Firma Gebrüder Sebald, verhandelte mit dem Vertreter einer Wäschefabrik, mit der er seit vielen Jahren in ständiger Geschäftsverbindung stand. Die Angelegenheit, deretwegen Martha zu ihm gekommen war, erledigte sich in wenigen Minuten. Sie durfte ihre Halbtagsstellung am 1. August antreten, und sie spürte, daß ihr damit ein Stein vom Herzen rollte. Wenigstens brauchte sie sich in Zukunft um die pünktliche Entrichtung der Miete und der ständigen Ausgaben keine Sorgen mehr zu machen.
Es wurde fast elf, als sie heimkam. Vor der Haustür stand ein roter Motorroller. Das war an sich nichts Auffallendes. Sie bemerkte das Fahrzeug eigentlich erst im Zusammenhang damit, daß es hinter den Fenstern des Wohnzimmers merkwürdig aufblitzte, fahlviolett, als zucke dort das blendende Licht einer Neonröhre von Zeit zu Zeit auf. Waren ihre Leute inzwischen etwa total übergeschnappt und feierten sie die indische Erbschaft bei bengalischer Beleuchtung? Sie eilte die Treppen empor und stürzte in die Wohnung. Der Anblick, der sich ihr bot, verwirrte sie vollends.
Auf der grünen Couch lehnte sich Wilhelm Ströndle, von seinen beiden Töchtern flankiert, lässig in die Rückenpolster und versuchte, ein bedeutendes Gesicht zu machen, während Charlotte und Christa mit einem erstarrten Lächeln ihre Zähne zeigten, als machten sie für eine Zahnpasta Reklame. Vor dem Familienidyll aber agierte ein junger Mann mit einem Fotoapparat und einem Blitzlicht herum und rief, als Martha ins Zimmer trat: „Ah, die Frau Gemahlin!“, riß den Apparat herum, zielte kurz und schoß ab. Der Elektronenblitz flammte auf, der junge Mann spulte den Film weiter und überfiel Martha mit einem Wortschwall, der sie wie ein Sturzbach übersprudelte: „Gestatten, gnädige Frau, Stratzki vom ,Nacht-Expreß’ mein Name. Joachim Stratzki, eigentlich von Stratzki, aber dafür gibt mir keiner ein Fennich. Erlaube mir zunächst mal, janz erjebenst zu gratulieren! Tolle Sache das! Garantiert die Sensation des Jahres! Vom Buchhalter zum Scheckbuchhalter! Schlagzeile, was? Was sagen Sie dazu? Sie sagen nichts. Ich verstehe, verstehe durchaus und vollkommen. Wäre selber erschlagen, wenn mir so ein Brief übern kleinen Weg ins Haus... hahaha, obwohl schon ein janzes Händchen voll dazu jehört, Joachim von Stratzki uff die Bretter zu schicken. Zweihundert Millionen Hühnerchen! Das ist auf Ehre ein dicker Hund! — Aber bitte, ordnen Sie sich ein, verehrte gnädige Frau! An die rechte Seite vom Herrn Gemahl und zwischen die entzückenden jungen Damen. Und lächeln Sie, gnädige Frau! Lächeln Sie! Denken Sie an das Füllhorn des Glücks, das Fortuna über Sie ausgeschüttet hat!“
„Nun komm schon, Martha!“ rief Wilhelm Ströndle ungeduldig.
Von Christa gezogen und von dem jungen Mann geschoben, gelang es Martha doch, sich mit einer kurzen Drehung frei zu machen: „Was geht hier überhaupt vor? Wie kommen Sie in meine Wohnung? Wie kommen Sie dazu, uns zu fotografieren, und woher wissen Sie überhaupt etwas von der Erbschaft?“
„Viele Fragen auf einmal, gnädige Frau, aber es gibt darauf nur eine Antwort: Der ,Nacht-Expreß’ sieht alles, hört alles, weiß alles!“
„Schluß!“ rief Martha zitternd vor Zorn, „Sie werden die Aufnahmen, die Sie hier gemacht haben, herausgeben und meine Wohnung augenblicklich verlassen!“
„Das zweite sofort, wenn Sie es durchaus wünschen“, sagte Herr Stratzki ungerührt und ohne eine Spur beleidigt zu tun, „aber das erste nie oder nur über meine Leiche! Mit zweihundert Millionen sind Sie keine Privatpersonen mehr. Noblesse oblige, wie der gebildete Franzose sagt — mit dieser Erbschaft sind Sie Persönlichkeiten des öffentlichen
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