Die indische Erbschaft
aßen, ohne eine Miene zu verziehen, und Martha beobachtete die Tischrunde sehr genau. Sie hätte es niemand geraten, auch nur so auszusehen, als ob er mit dem Essen nicht zufrieden sei.
Kurz vor Beendigung der Mahlzeit läutete es. Frau Martha scheuchte Christi, die aufspringen wollte, auf ihren Stuhl zurück. „Wir machen nicht auf!“
„Wir können uns nicht tot stellen!“ gab Charlotte zurück.
„Spitz doch einmal durch die Gardine, wer unten ist!“ flüsterte Wilhelm Ströndle Christa zu.
In diesem Augenblick läutete es zum zweitenmal. Länger und energischer.
„Und wenn sie sich die Finger abbrechen!“ sagte Martha, „es wird nicht auf gemacht!“
Christa schlich zum Fenster und spähte vorsichtig nach unten. Ein großer, schwarzer Wagen stand vor dem Haus.
„Es ist der Wagen von Herrn Vollrath!“ rief Christa plötzlich, „und Herr Vollrath selber sitzt drin!“
„Was! Wer!“ schrie Wilhelm Ströndle und sprang auf, als hätte er sich auf eine Nadel gesetzt. Er rannte zum Fenster und riß es auf. Es war tatsächlich die große Limousine seines Chefs, der zeitunglesend im Wagen saß, während sein Privatchauffeur Wuttig unten klingelte und den Kopf hob, als er das Geräusch der Fensterflügel hörte.
„Guten Abend, Herr Ströndle, der Chef läßt fragen, ob er Sie für einen Moment sprechen kann.“
„Selbstverständlich, ich lasse bitten!“
Der Chauffeur lief zum Wagen und öffnete den Schlag.
Oben riß Wilhelm Ströndle seine Jacke vom Stuhl und fuhr in die Ärmel.
„Herr Vollrath?“ fragte Martha ungläubig.
„Jajaja!“ schrie Wilhelm Ströndle aufgeregt und versetzte Werner einen Stoß: „Mach doch zum Teufel die Haustür auf!“ Werner stob davon, und Martha löste in fliegender Eile die Bänder ihrer Küchenschürze und rannte ins Wohnzimmer, um wenigstens die Sessel ordentlich um den Tisch zu stellen.
„Nun brecht euch bloß nichts ab!“ sagte Charlotte patzig, „was wird er schon bringen? Eine Klage vom Arbeitsgericht oder eine Gehaltsrückforderung...“
„Um Gottes willen, wie kommst du darauf?“
„Weil mein Chef mir mit dem Arbeitsgericht gedroht hat!“
Martha lehnte sich gegen das Küchenbüfett und breitete die Arme wie Flügel aus; es sah aus, als beabsichtige sie, die Kasse mit den letzten Reserven mit ihrem Leben zu verteidigen. Unten sperrte Werner die Haustür auf, und man hörte Oskar Vollraths schwere Schritte bereits auf der Treppe.
„Weshalb bist du noch nicht im Wohnzimmer, Willi?“ zischte Martha, „willst du Herrn Vollrath vielleicht in der Küche empfangen?“ Sie schob ihn auf den Korridor hinaus und wollte sich verdrücken, aber es war zu spät, Herr Vollrath stand schon in der Tür und streckte Wilhelm Strönle und seiner Frau beide Hände entgegen. Sein dröhnendes Organ füllte das ganze Haus, und oben und unten öffneten sich spaltbreit die Türen der Nachbarwohnungen.
„Mein lieber Herr Ströndle! Meine sehr verehrte gnädige Frau! Ich komme spät, aber nicht zu spät, um Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche auszusprechen!“
Er schüttelte Martha und Wilhelm Ströndle gleichzeitig die Hände; hinter seinem gewaltigen Rücken tauchte graulivriert der Chauffeur Wuttig auf und schleppte, von Werner unterstützt, ein gutes Dutzend sorgfältig eingehüllter und verschnürter Pakete in die Wohnung. „Stellen Sie ab, Wuttig, und warten Sie unten auf mich!“ befahl Herr Vollrath und griff hinter sich, um von Wuttig einen großen Strauß langstieliger Treibhausnelken entgegenzunehmen, den er Martha mit einer schwungvollen Gebärde überreichte: „Von meiner Frau für Sie, verehrteste Frau Ströndle!“
Martha hielt die kostbaren, dunkelroten Nelken wie einen Reisigbesen in der Hand, sie starrte fassungslos in die großen, gefiederten Blüten, die einen starken Duft ausströmten, und bewegte die Lippen, aber sie brachte keinen Ton heraus.
„Laßt Blumen sprechen!“ dröhnte Oskar Vollrath, „ein schönes Wort, aber ich bin mehr fürs Reelle, und deshalb habe ich mir erlaubt, dem Blumengruß meiner Frau noch ein paar handfestere Kleinigkeiten hinzuzufügen. Etwas Konfekt für die Damen des Hauses, ein paar Zigaretten für den Herrn Sohn — Sie rauchen doch, lieber junger Freund? — na also! und ein paar Fläschchen aus des Kellers tiefsten Gründen für Sie, mein lieber Herr Ströndle! Nein, sagen Sie kein Wort! Auf dem Ohr bin ich absolut schwerhörig! Diese kleine Freude dürfen Sie mir nicht nehmen!“
Die jungen Damen
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