Die indische Erbschaft
klebe dir mitten auf der Straße eine ins Gesicht, du Schuft!“
„Das kannst du tun — aber erst dann, wenn du mich angehört hast!“ Er packte ihren Arm und hielt sie so fest, daß sein Griff sie schmerzte.
„Wenn du mich nicht augenblicklich losläßt, schreie ich um Hilfe!“ zischte sie ihn an.
„Warte damit noch eine Sekunde, und dann schrei, so laut du willst. Aber jetzt wirst du mir zuhören: Das Mädchen, das deine Mutter in meinem Atelier sah, heißt Mieze Schmischke und ist ein Berufsmodell, das ich mir von meinem Freund Walter Dickhut für ein paar Tage ausgeborgt hatte, um meine Reiseplakate hinzukriegen. Hier in dieser Mappe kannst du die dicke Mieze etwas dünner, als sie in Wirklichkeit ist, zwanzigmal sehen, wenn du darauf Wert legst. So — das ist die Wahrheit! Und jetzt schrei, wenn du noch schreien magst! Oder schäm dich lieber in Grund und Boden, daß du dem Geschwätz sofort und ohne dich zu besinnen geglaubt hast! Deiner Mutter nehme ich es nicht einmal übel, denn der Augenschein sprach gegen mich. Aber daß du kein Vertrauen zu mir gehabt hast, das ist traurig — ah, das ist mehr als traurig, das ist beschämend!“ Er ließ sie zornig los und machte eine Bewegung, als wolle er sich zum Gehen wenden, und jetzt war sie es, die nach seinem Arm griff und ihn festhielt. „Weshalb hast du mir das nicht früher gesagt?“
„Ich habe tagelang in der Nähe eurer Wohnung auf dich gewartet! Sag mir nicht, daß du es nicht gewußt hast! Und wenn du mir mit dem Autojüngling vielleicht imponieren wolltest — da kann ich doch nur lachen! — Weshalb bist du nicht gekommen?“
„Kannst du dir nicht vorstellen, wie verletzt und beleidigt ich war?“
„Nein!“ schrie er wütend. Sag mir lieber, was deine Mutter eigentlich bei mir wollte.“
„Was sie bei dir wollte, hat sich inzwischen von selbst erledigt. Darüber brauchst du dir nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Ich gehe in vier Wochen nach Düsseldorf, dann bist du mich los und kannst dir die Frau aussuchen, die besser zu dir paßt als ich.“
„Schluß mit dem Blödsinn!“ sagte er sehr energisch und zog sie einfach mit. „Wohin du in vier Wochen gehst, das wird sich noch herausstellen. Vorläufig gehst du mit mir zu Hietzinger einen anständigen Kaffee trinken!“ Er umschloß ihre Hand und preßte sie, unbekümmert darum, daß sie mitten auf der Straße standen, an seine Brust: „Ach, Charlottchen, das waren scheußliche Tage! Ich war ganz krank vor lauter Ärger über dieses blöde Mißverständnis...“
„Hör auf!“ schnupfte sie, „sonst fange ich mitten auf der Straße zu heulen an. Aber daß du auch nicht einmal die Tür von deinem Atelier zugesperrt hattest!“
„Eben daran hätte deine Mutter es eigentlich merken können, daß mein Gewissen so rein war wie frisch gefallener Schnee!“
„Mich wolltest du im Kostüm zeichnen...“sagte sie mit einem leisen Unterton von Eifersucht.
„Mieze Schmischke hat leider bessere Fleischtöne als Kostüme, mein Herz. Ich habe hinterher stundenlang die Auslagen der Modehäuser abgeklappert und Mieze Schmischke mit den elegantesten und teuersten Modellen übermalt, die ich bei Jean Buttersemmel und bei Bindebaum in den Schaufenstern entdecken konnte. Fräulein Schmischke lieferte sozusagen nur das Skelett — obwohl sie mit einem Skelett wahrhaftig nicht die geringste Ähnlichkeit hat.“
„Jedenfalls ist dieses Fräulein Schmischke das letztemal bei dir gewesen!“
„Gut“, sagte er düster, „ich nehme es als Ultimatum und werde deshalb bei Hietzinger keinen Kaffee, sondern zwei große Steinhäger trinken — und dann kann der Tanz bei deinem alten Herrn von mir aus noch heute losgehen. Und wenn er meckern sollte, dann werde ich ihm schlicht erklären, daß wir aus gewissen Gründen leider heiraten müssen. Er neigt doch hoffentlich nicht zu Schlaganfällen, wie?“
„Bleiben wir lieber beim Kaffee, Helmuth- zuerst muß ich die Geschichte mit meiner Mutter in Ordnung bringen. Und außerdem fährt mein Vater übermorgen nach England.“
„Etwa um die Millionen abzuholen?“ fragte er unangenehm berührt.
„So weit ist es noch nicht; er will seine Angelegenheiten drüben nur ein wenig vorantreiben. — Aber was stört dich dabei? Die Millionen sind seine Millionen, und wir beide leben unser Leben, und wenn es ihm nicht passen sollte, auch gegen seinen Willen. Ich bin mündig!“
„Und du wirst es nie bereuen, Charlotte?“
„Das kommt ganz auf dich an, mein
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