Die indische Erbschaft
einem neugierig forschenden Blick ins Gesicht.
„Glück!“ knurrte Wilhelm Ströndle gereizt, „das ist der Traum der kleinen Leute nach einem Leben des Wohlstandes und der Bequemlichkeit. Begreift doch endlich, daß unser Ahnherr Johannes Chrysostomus uns keinen billigen Totogewinn hinterlassen hat, sondern ein Erbe, das eine Aufgabe und eine Verpflichtung bedeutet! Oder glaubt ihr etwa, daß Männer wie Rockefeller, Henry Ford, Alfred Nobel oder Vanderbilt danach fragen, ob sie glücklich seien? Große Vermögen sind große Prüfungen! Und ich werde dafür sorgen, daß wir die Prüfung vor Gott und vor der Welt bestehen!“
„Amen!“ sagte Werner feierlich.
Und plötzlich begann er zu lachen. Vergnügt und erheitert zunächst, und still vor sich hin, daß man es mehr sah als hörte. Aber es schüttelte ihn immer stärker, und dann brach es aus ihm heraus, wild und hemmungslos und steigerte sich zu einem Orkan, der ihm den Atem nahm und ihn zu ersticken drohte: „Vanderbilt — Rockefeller — Ford — Ströndle!“ keuchte er, während ihm die Tränen über die Wangen rollten, und sein brüllendes Gelächter wirkte so ansteckend, daß Charlotte und Christa zu kichern begannen.
Nur Martha lachte nicht mit. Sie sah, daß Wilhelm Ströndle nach anfänglicher Verblüffung darüber, daß Werner über ihn zu lachen wagte, von einem furchtbaren Zorn ergriffen wurde — und trat mit zwei Schritten zwischen Vater und Sohn. Aber sie hätte ebensogut versuchen können, eine anfahrende Lokomotive aufzuhalten. Es nützte nichts, daß sie nach Wilhelm Ströndles Armen griff und ihn beschwor, sich nicht aufzuregen. Er schüttelte sie weiß vor Wut ab und stürzte auf Werner los, der aufgesprungen war und ihn mit geballten Fingern erwartete.
„Rühr mich nicht an!“ schrie er ihm entgegen, und es war etwas in seinem Ausdruck, das Wilhelm Ströndle veranlaßte, die Hände sinken zu lassen und vor dem Stuhl haltzumachen, den Werner vorsichtshalber zwischen seinen Vater und sich gestellt hatte.
„Ich werde dir das Lachen austreiben!“ brüllte Wilhelm Ströndle.
„Niemals!“ schrie Werner, „niemals, solange du dich selber lächerlich machst! Sei froh, daß ich über dich noch lachen kann! Nur ich fürchte, es wird nicht mehr lange dauern, daß wir uns für dich schämen! Du Rockefeller! Du Vanderbilt! Hahaha...“
Martha packte ihn und drehte ihn herum: „Genug, Werner! Und jetzt raus mit dir! Aber schnell!“ Sie gab ihm einen Stoß und winkte auch Charlotte und Christa zu, die Küche schleunigst zu verlassen.
„Ich gehe schon!“ rief Werner.
„Aber nicht nur aus der Küche!“ tobte Wilhelm Ströndle; „du verschwindest aus meinem Haus! Für immer! Ich habe mit dir nichts mehr zu schaffen, und ich will dich nicht mehr sehen!“
„Dann schmeiß mich nur gleich mit hinaus!“ schrie Charlotte wild, „denn ich unterschreibe jedes Wort, das Werner gesagt hat! Jawohl, du machst dich lächerlich! Mir dreht sich der Magen um, wenn ich deine Sprüche höre!“
„Raus mit dir! Auch mit dir raus!“ keuchte Wilhelm Ströndle; „ich sage mich von euch los, ihr undankbaren, niederträchtigen Kreaturen! Ich sage mich von euch los..
Martha fuhr wie eine gereizte Löwin herum: „Das geht zu weit! Jetzt langt es mir! Du wirst mir die Kinder nicht aus dem Hause jagen, du Narr! Das ist mein Haus genauso gut wie deins, und hier habe ich genauso viel zu bestimmen wie du! Ich höre mir jeden Unsinn, den du redest, geduldig an — aber wenn du gemeingefährlich wirst und meine Kinder aus dem Hause treiben willst, weil dir deine Millionen in den Kopf gestiegen sind, dann gehe ich mit!“
Sie stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor die Kinder hin und drängte sie zur Tür. Christa, die die Tollhausszene stumm und blaß angehört hatte, schluchzte herzzerbrechend.
Aber als ob alles, was bisher geschehen war, nur ein ganz kleines Vorspiel gewesen sei, griff Wilhelm Ströndle nach einem Tonkrug, der halb mit Milch gefüllt auf dem Büfett stand, schmetterte ihn Martha vor die Füße und brüllte: „Jawohl, geht! Geht alle! Ich trenne mich von euch! Ihr seid nicht würdig, an meiner Seite zu leben! Ich zerschneide das Tischtuch zwischen uns! Und ich enterbe euch! Kriecht weiter am Boden und suhlt euch in dem Dreck, der euch behagt! Ich enterbe euch! Ich enterbe euch!“
Und dieses „ich enterbe euch“ trommelte er noch minutenlang mit den Fäusten gegen die Tür, als er längst allein in der Küche war, allein
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