Die indische Erbschaft
schluckte.
Charlotte litt unter der vermeintlichen Treulosigkeit ihres Helmuth so sehr, daß sie sich wie ein krankes Tier am liebsten in einen dunklen Winkel verkrochen hätte. Wenn sie wenigstens ihr Zimmer für sich allein gehabt hätte, aber nicht einmal in der Nacht war sie allein, und Christa hatte eine vertrackte Art, sich bei jedem unregelmäßigen Atemzug von ihr im Bett aufzurichten und zu fragen, ob ihr etwas fehle. Merkwürdigerweise haderte sie insgeheim auch mit ihrer Mutter und vermied, wo es nur anging, mit ihr allein zu sein. Es war, als hätte die Tatsache, daß gerade Martha Helmuth Krönlein in flagranti erwischt hatte, die Trennung besonders peinlich und unabänderlich gemacht. Gleichzeitig aber blieb eben dadurch, daß sie seinen Treuebruch nur erfahren und nicht selber entdeckt hatte, ein kratzender Stachel in ihrer Haut sitzen. Sie mußte es zwar glauben, denn Martha war ein einwandfreier Zeuge, aber ihr Herz sträubte sich einfach gegen die Wahrheit, und weil sie es nicht glauben konnte oder nicht glauben wollte, begann sie innerlich ihre Mutter für ihren Kummer verantwortlich zu machen, mehr als den Übeltäter selbst. Von diesen verschlungenen Gedankenpfaden ahnte Martha allerdings nichts, als Charlotte ihr in diesen Tagen eröffnete, daß sie nach einer längeren Unterredung mit ihrem Chef übereingekommen sei, noch vier Wochen bei ihm zu arbeiten, um dann mit einer Empfehlung von ihm in einen Düsseldorfer Salon zu gehen, mit dem er in einem Austausch von Modellen stand.
„Und alles wegen diesem Kerl, der es nicht wert ist, daß du dir auch nur einen Gedanken um ihn machst?“
„Ich halte es hier nicht mehr aus!“
„Du mußt wissen, was du tust...“, sagte Martha ergeben; langsam begann die Familie auseinanderzubröckeln, innerlich und äußerlich. „Willst du es Papa noch vor seiner Abreise sagen?“
„Ich werde darüber überhaupt nicht viel reden. Ich werde ihn vor die vollendete Tatsache stellen. Ich weiß genau, daß er mir Schwierigkeiten machen wird, aber ich bin schließlich alt genug, um das zu tun, was ich für richtig halte, auch gegen seine Absichten und Zukunftspläne!“
„Du bist so merkwürdig spitz und scharf, wie ein Messer. Weshalb eigentlich? Wenn du etwa unter seinen Absichten Ronny Vollrath verstehst, dann irrst du dich bestimmt. In seinen Zukunftsplänen ist Vollrath soviel wie eine Laus...“
„Du redest schon genauso wie er!“ sagte Charlotte mit einer Gebärde, als wolle sie sich die Finger in die Ohren stopfen.
„Ich wiederhole nur das, was er sagt. — Was ich denke, steht auf einem anderen Blatt. Aber daran wollen wir lieber nicht rühren, das geht auch nur mich allein etwas an. Dieses Päckchen habe ich ganz allein zu tragen. Und ich will dich auch nicht halten. Ich werde niemanden halten. Ich werde niemanden halten können! Das ist es...“
„Diese verfluchte Erbschaft!“
„Ich glaube, du vergißt manchmal, daß die Erbschaft mit der Geschichte, derentwegen deine Freundschaft — wenn man es so nennen will — auseinandergegangen ist, nichts zu tun hat!“ sagte Martha mit einiger Schärfe.
„Weshalb hast du es mir überhaupt erzählt?“ stieß Charlotte wild und verzweifelt hervor.
Martha hätte vor Überraschung fast das Nachthemd versengt, das sie gerade bügelte: „Sag einmal, bist du von allen guten Geistern verlassen? Hätte ich es dir etwa verschweigen sollen? Hätte ich zuschauen sollen, wie du in dein Unglück rennst? Oder sollte ich den infamen Kerl vielleicht noch in Gegenwart der fremden Frau bitten, dich doch um Himmels willen nicht sitzenzulassen, he?“ Charlotte antwortete nicht, sie schwieg verstockt und ratterte auf der Maschine einen Saum mit Rekordgeschwindigkeit herunter.
„Solch einem Kerl gibt man einen Tritt in den Hintern, wenn man einen Charakter hat!“ grollte Martha.
„Das ist es ja eben, was mich wurmt“, sagte Charlotte böse, „daß ich keine Gelegenheit dazu hatte!“
Die Gelegenheit, Charakter zu beweisen, bot’ sich ihr noch am gleichen Nachmittag, als sie in die Stadt lief, um für das blaue Kleid eine Rolle Nähseide und ein paar Meter Spitze zu besorgen. Sie entdeckte Helmuth Krönlein zu spät, um noch ausweichen zu können, und er stellte sich ihr mit der großen Mappe, die er schleppte, mitten in den Weg, als sie verstört und gehetzt an ihm vorüberbrechen wollte: „He, Lottekind, daß ich dich doch einmal erwische! Jetzt kommst du mir aber nicht aus!“
„Laß mich, oder ich
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