Die innere Freiheit des Alterns
danach, der Globalisierung und des Neoliberalismus. Die Anteile an linkem und radikal demokratischem Gedankengut wurden von einem Neokonservatismus überrollt, ohne in ihrer gesellschaftskritischen Relevanz auch nur annähernd erkannt und ausgeschöpft worden zu sein. Wie alle gesellschaftskritischen Bewegungen – so die entsprechenden Thesen von Rolf Schwendter 39 – tendierte auch die68er-Bewegung zur Einseitigkeit, zu Extremen und zur Radikalisierung, auch deshalb, weil sie sich Gehör zu verschaffen suchte, das sie lange Zeit in keiner Weise fand. Und doch sind der Gesellschaft entscheidende Anstöße gegeben worden – vor allem der Pädagogik, der Didaktik, dem Schul- und Bildungswesen –, und diese Anstöße haben die Diffamierung überstanden, in die diese ganze Bewegung geriet, weil einige wenige ins Extrem abglitten. Es ist in den letzten Jahren fast modisch geworden, diese ganze »antiautoritäre Aufbruchsbewegung« herablassend zu behandeln, im besten Fall noch unter der Überschrift »Es war nicht alles schlecht« – und stattdessen, wie in einer Ausgabe der Zeitschrift Psychologie Heute 40 , wieder Respekt vor Autoritäten zu fordern, »law and order«, im Rahmen einer neuen Wertediskussion. Dabei war Respekt vor solchen Autoritäten, die wissenschaftlich und politisch etwas zu sagen hatten, deren Autorität durch eine authentische Persönlichkeit gedeckt war, die mit Schülern, Studenten und Staatsbürgern auf Augenhöhe umzugehen wussten, nie in diesen Bewegungen infrage gestellt. Wurden nicht die damals Alten, der ehemalige Bürgermeister von Berlin, Heinrich Albertz, und Pfarrer Helmut Gollwitzer, der Theologe, die Idole der kritischen Berliner Studentengeneration?
Worauf es mir ankommt, warum ich das alles überhaupt erwähne, ist Folgendes: Viele unter uns heute Alten waren doch damals an der 68er-Bewegung oder ihren Vorläufern aktiv beteiligt, verdanken ihr ganz bedeutende Befreiungserfahrungen innerhalb ihrer persönlichen Biographie! Viele haben hier erst demokratisch und politisch denken gelernt, haben zum ersten Mal Erfahrungen von Solidarität und Zugehörigkeit gemacht, Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, die den früheren Ohnmachtserlebnissen, den unangreifbaren Positionen der damaligen Amtsträger und Lehrautoritäten entgegensteht. Wie immer nachfolgende Generationen hierüber denken mögen: Für viele von uns gehört die Lebensphase, in der wir der 68er-Bewegung begegneten – bei mir selbst war es während eines Zweitstudiums und später während der Arbeit als junge Dozentin anverschiedenen Hochschulen – zur identitätsstiftenden Erfahrung. Dazu sollen wir stehen und können dann auch der nachfolgenden Generation etwas von dem Geist jener Zeit vermitteln wie auch von den Zielen, die weiterhin gültig bleiben, auch wenn sie nicht alle eingelöst werden können.
Wir sind Zeitzeugen und können sagen: Es war eine Aufbruchszeit, voll Hoffnung, voll von mutigen Experimenten im Lehr- und Lernbereich, im Sozialleben bis hinein ins Persönlichste. Es war auch die Zeit der sexuellen Befreiung, in der viele erst voll zu ihrer Identität fanden, trotz vieler Übertreibungen. Es war die Zeit der Wohngemeinschaften, der Gruppenexperimente, und es mag sein, dass unsere Generation Wege findet, auch im Alter selbstbestimmt und in neuen Wohnformen zu leben, zum Beispiel so, dass mehrere Ältere in einem großen Wohnhaus zusammenziehen, durchaus selbstständig und mit getrennten Wohnungen, aber gleichberechtigt und gut-nachbarlich miteinander verbunden, vielleicht mit einem gemeinsamen Treffpunkt, einem »soziokulturellen Wohnzimmer«.
Noch anregender wäre ein Modell, in dem Ältere und Jüngere in einer solidarischen Haus-Wohngemeinschaft zusammenziehen würden, in der man einander beispringt und voneinander weiß, nur nicht so eng aufeinander bezogen ist wie in einer einzelnen Wohnung, woran manche WGs scheiterten. Doch sind mir WGs bekannt, in denen man auch damals in solidarischer Weise zusammenlebte und doch die Eigensphäre des Einzelnen zu wahren wusste, die jede und jeder in seinem eigenen Raum ausbaute. Ich habe WGs miterlebt, in denen die schwere Krise einzelner Mitbewohner, so zum Beispiel eine suizidale Krise, mitgetragen und aufgefangen werden konnte. Als junge Analytikerin lernte ich diese Lebensgemeinschaften, die den Einzelnen Zugehörigkeit gaben, außerordentlich zu schätzen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass manche der damals Jungen – also wir! – vor dem Hintergrund
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