Die Insel Der Abenteuer
beiden Zimmer der Mädchen lagen ebenfalls zur See hinaus, aber in einer anderen Richtung als das Turmzimmer. Die Toteninsel konnte man von hier nicht sehen. Als Jack erzählte, was Jo-Jo von der Insel gesagt hatte, machte Lucy ein erschrecktes Gesicht.
Philipp beruhigte sie. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er lachend. »Jo-Jo ist voll von allerlei komischen Geschichten. Aber es ist nichts Wahres dran. Ich glaube, es macht ihm nur Spaß, uns zu erschrecken.«
Es war merkwürdig, zum erstenmal in Felseneck zu schlafen. Der Wind heulte um das Haus. Lucy lag lange wach und horchte auf das gedämpfte Brausen der Wellen, die gegen die Felsen brandeten. Wie anders war es hier als in der ruhigen kleinen Stadt, wo Onkel Georg wohnte! Dort war alles verschlafen, aber hier herrschte Leben und Bewegung. Der Salzgeschmack auf ihren Lippen, das Wehen des Windes in ihrem Haar, alles war so fremd und erregend! Hier in Felseneck konnten sich ge-wiß allerlei abenteuerliche Dinge ereignen.
Auch Jack lag im Turmzimmer wach, während Philipp auf der Matratze neben ihm schlief. Der Wind wehte von draußen herein. Jack stand auf und ging zum Fenster.
Eine schmale Mondsichel erschien ab und zu zwischen den dahineilenden Wolken. Tief unter ihm wirbelte das Wasser. Es war Flut, und die Wellen schlugen mit Macht über die schwarzen Felsen. Der Gischt flog hoch hinauf in den Wind, und Jack glaubte, etwas davon auf seiner Bak-ke zu spüren. Er leckte sich die Lippen. Sie schmeckten köstlich nach Salz.
Ein Vogel schrie in der Nacht. Es klang düster und traurig, aber Jack fand es schön. Was mochte es für ein Vogel sein? Einer, den er nicht kannte? Die See stampfte unaufhörlich, und der Wind kam in Stößen herein. Jack fröstelte. Es war Sommer, aber Felseneck war auf einem so freien Platz erbaut, daß es dauernd von Winden umweht war.
Da fuhr der Junge plötzlich zusammen. Etwas hatte seine Schulter berührt. Sein Herz schlug schnell — und dann lachte er erleichtert auf. Es war nur Kiki.
Kiki schlief immer bei Jack, wo er auch sein mochte.
Gewöhnlich saß er auf dem Gitter am Kopfende seines Bettes und steckte den großen Kopf unter einen Flügel.
Aber hier gab es kein Gitter, nur eine flache Matratze auf dem Fußboden. Der Vogel hatte schließlich einen ziemlich unbequemen Sitz auf der Ecke der Truhe gefunden.
Als er Jack am Fenster hörte, kam er auf seinen ge-wohnten Platz auf Jacks Schulter geflogen. Zärtlich schmiegte er sich an seinen Herrn. »Geh zu Bett, unartiger Junge«, sagte er, »geh zu Bett.«
Jack mußte lachen. Es war zu komisch, wenn Kiki zu-fällig die richtigen Worte traf. Der Junge kraulte dem Papagei den Kamm und sprach leise mit ihm, um Philipp nicht aufzuwecken.
»Ich werde dir morgen einen Schlafsitz aufstellen«, versprach er. »Auf der Truhe kannst du nicht ordentlich schlafen. Jetzt gehe ich zu Bett. Das ist eine wilde Nacht, was? Aber es ist schön.«
Fröstelnd ging er zurück ins Bett und kuschelte sich an Philipps Rücken, um wieder warm zu werden. Er schlief bald ein und träumte von Tausenden von Seevögeln, die ganz zahm waren und sich fotografieren ließen.
Nachdem Jack und Lucy jahrelang in einem gewöhnlichen kleinen Haus in einer gewöhnlichen kleinen Stadt gewohnt hatten, kam ihnen das Leben in Felseneck zuerst recht fremd vor. Es gab kein elektrisches Licht. Es kam weder heißes noch kaltes Wasser aus dem Wasser-hahn. Es waren keine Läden in der Nähe, und es gab keinen Garten.
Jeden Tag mußten Öllampen gereinigt und geputzt werden. Die Leuchter waren mit Kerzen zu versehen. Und das Wasser mußte man aus einem tiefen, tiefen Brunnen heraufholen. Hinter dem Haus befand sich ein kleiner Hof, der an das Felsenkliff stieß, und darin stand der Brunnen, der das Haus mit Wasser versorgte. Jack und Lucy waren überrascht, daß das Wasser nicht salzig war.
»Nein, es ist reines Trinkwasser«, sagte Dina und hob einen schweren Eimer von der Kette. »Der Brunnen geht direkt hinunter in die Felsen, tief unter den Meeresgrund.
Das Wasser ist rein und klar und eiskalt. Schmeckt mal.«
Es schmeckte gut, fast so gut wie das Eiswasser, das die Kinder manchmal an heißen Sommertagen getrunken hatten. Jack schaute in den dunklen und tiefen Brunnen hinein.
»Ich möchte mich gern mal in einem Eimer hinunterlas-sen, um zu sehen, wie tief der Brunnen ist«, meinte er.
»Na, du würdest ein komisches Gefühl haben, wenn du steckenbleibst und nicht mehr heraufkannst«, sagte Dina
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