Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
Vom Netzwerk:
fragte ich.
    »Das können wir nur vermuten«, antwortete Millard. »Vielleicht wartet er auf jemanden, der ihn abholt, oder darauf, dass sich das Meer beruhigt und er rausfahren kann.«
    »In meinem kleinen Boot?«, fragte Emma.
    »Wie gesagt, wir können nur raten.«
    Kurz hintereinander erfolgten drei ohrenbetäubende Detonationen, und der Himmel färbte sich leuchtend orange. Wir duckten uns.
    »Werden hier auch Bomben fallen, Millard?«, fragte Emma.
    »Meine Forschungen beschäftigen sich mit dem Verhalten von Tieren und Menschen«, antwortete er. »Nicht mit Bomben.«
    »Sehr hilfreich!«, sagte Enoch.
    »Hast du noch mehr Boote irgendwo versteckt?«, fragte ich Emma.
    »Leider nicht«, antwortete sie. »Wir müssen hinüberschwimmen.«
    »Hinüberschwimmen?«, wiederholte Millard. »Um dann in Stücke geschossen zu werden?«
    »Uns wird schon etwas einfallen«, antwortete sie.
    Millard seufzte. »Na toll. Improvisierter Selbstmord.«
    »Also?« Emma sah fragend in die Runde. »Hat jemand eine bessere Idee?«
    »Wenn ich meine Soldaten hier hätte –«, begann Enoch.
    »Dann würden sie sich im Wasser auflösen«, unterbrach Millard ihn.
    Enoch ließ den Kopf hängen, und die anderen schwiegen.
    »Dann wäre es also entschieden«, sagte Emma. »Wer ist dabei?«
    Ich hob die Hand, Bronwyn ebenfalls. »Ihr werdet jemanden brauchen, den der Wight nicht sehen kann«, sagte Millard. »Wenn es sein muss, komme ich also mit.«
    »Vier sind genug«, sagte Emma. »Ich hoffe, ihr seid gute Schwimmer.«
    Es blieb keine Zeit für Zweifel oder lange Verabschiedungen. Die anderen wünschten uns Glück, wir zogen unsere schwarzen Regenjacken aus und liefen vornübergebeugt wie ein Kommandotrupp durch das hohe Gras. Den steilen Pfad zum Strand rutschten wir auf unseren Hinterteilen hinunter. Kleine Sandlawinen rieselten über unsere Füße und die Hosen.
    Plötzlich erklang ein Lärm wie von fünfzig Kettensägen. Ein Flugzeug schoss über uns hinweg, und wir duckten uns. Der Wind peitschte durch unser Haar und wirbelte den Sand auf. Ich presste die Zähne zusammen, wartete darauf, dass uns eine Bombe in Stücke riss. Aber es fiel keine.
    Wir rutschten weiter. Als wir den Strand erreicht hatten, führte uns Emma alle dicht zusammen.
    »Ein Stück von dem Leuchtturm entfernt liegt ein Schiffswrack«, sagte sie. »Folgt mir dorthin. Haltet euch flach im Wasser. Er darf uns nicht sehen. Wenn wir beim Wrack sind, werden wir entscheiden, was wir als Nächstes tun.«
    »Auf geht’s, wir holen unsere Ymbrynes zurück!«, sagte Bronwyn.
    Vorsichtig robbten wir hinunter zur Brandung und krochen bäuchlings in das kalte Wasser. Anfangs kamen wir gut voran, aber je weiter wir schwammen, desto stärker warf uns die Strömung wieder zurück. Abermals flog ein Flugzeug über uns hinweg und wirbelte einen feinen Wasserregen auf.
    Keuchend erreichten wir das Wrack. Wir klammerten uns an den rostigen Rumpf, hielten die Köpfe über Wasser und starrten zum Leuchtturm auf seiner kahlen Insel. Von meinem grauenhaften Therapeuten war nichts zu sehen. Ab und zu leuchtete der Vollmond wie ein geisterhafter Doppelgänger des Scheinwerfers durch die Rauchschwaden am Himmel.
    Wir schoben uns bis ans Ende des Wracks. Jetzt trennten uns nur noch knapp fünfzig Meter offene See vom Leuchtturm.
    »Ich schlage Folgendes vor«, sagte Emma. »Jacob und ich spüren Golan auf und lenken ihn ab. Wyn schleicht sich von hinten an und schlägt ihn nieder. In der Zwischenzeit schnappt sich Millard den Käfig. Irgendwelche Einwände?«
    Die Antwort kam in Form eines Schusses. Im ersten Moment erkannten wir nicht, was es war – es klang anders als die Kanonenschüsse, die wir schon die ganze Zeit über in der Ferne hörten. Das hier war ein kleineres Kaliber – eher ein
Plopp
als ein
Bang.
Erst, als wir noch einen Schuss hörten und ganz in der Nähe Wasser aufspritzte, wussten wir, dass es Golan war.
    »Zieht euch zurück!«, schrie Emma. Wir liefen über das Wrack, bis es unter unseren Füßen verschwand, und sprangen ins Wasser. Gemeinsam tauchten wir wieder auf und schnappten nach Luft.
    »So viel dazu, ihm zuvorzukommen«, sagte Millard.
    Golan hatte aufgehört zu schießen, aber wir sahen ihn mit der Waffe in der Hand neben der Tür zum Leuchtturm stehen.
    »Er mag ja ein teuflischer Bastard sein, aber er ist nicht dumm«, sagte Bronwyn. »Ihm war klar, dass wir ihn verfolgen würden.«
    »Aber das geht jetzt nicht mehr.« Emma schlug wütend ins Wasser.

Weitere Kostenlose Bücher