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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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sabbernden Kiefern ein Stück aus dem Tier heraus, dass das Blut nur so spritzte, und warf es dann achtlos fort, wie ein gefräßiger König bei einem mittelalterlichen Gelage. Tier für Tier mordete er sich seinen Weg zu uns. Ich war starr vor Angst. Deshalb kann ich nicht erklären, was als Nächstes passierte.
    Meine Instinkte schrien, ich solle mich verborgen halten, mich noch tiefer in den Mist eingraben. Aber dann bahnte sich ein einziger klarer Gedanke den Weg durch meine Starre
: Ich werde uns nicht in diesem Scheiß-Haus sterben lassen.
Ich stieß Emma hinter das größte Schaf, das ich entdecken konnte, und schoss in Richtung Tür.
    Sie war etwa drei Meter von mir entfernt. Dazwischen standen unzählige Schafe, durch die ich mich wie ein Footballspieler pflügte. Ich rammte die Tür mit der Schulter und stieß sie auf. Dann stolperte ich hinaus in den Regen und schrie: »Komm und hol mich, du hässlicher Bastard!« Ich wusste, dass ich seine Aufmerksamkeit erregt hatte, denn er stieß ein fürchterliches Heulen aus, und ein Schaf kam durch die Tür geflogen und schoss an mir vorbei. Sobald ich sicher sein konnte, dass er mich verfolgte, lief ich in Richtung Moor. Die ganze Zeit spürte ich ihn hinter mir. Ohne die Schere wäre ich sicher schneller gewesen, aber ich brauchte sie vielleicht noch zur Verteidigung. Und dann wurde der Boden unter mir weicher, und ich wusste, dass ich das Moor erreicht hatte.
    Zweimal kam der Hollow nahe genug an mich heran, um mir mit der Zunge über den Rücken zu peitschen. Und beide Male, als ich dachte, seine Zunge würde sich jeden Moment um meinen Hals legen und zudrücken, stolperte das Biest und fiel zurück. Ich schaffte es bis zum Steingrab, weil ich dank Emma genau wusste, wohin ich meine Füße setzen musste.
    Ich lief um das Grab herum und duckte mich in den Eingang. Drinnen sah man die Hand nicht vor Augen, aber das spielte keine Rolle – ich musste nur die Kammer erreichen, dann war ich in Sicherheit. Ich kroch hastig auf allen vieren. Jede Sekunde zählte. Ich hatte bereits die halbe Strecke zurückgelegt und nährte einen zaghaften Optimismus, als ich plötzlich nicht mehr von der Stelle kam. Eine der Zungen hatte mich am Fußgelenk gepackt.
    Der Hollow hatte zwei Zungen um das Steingrab geschlungen und klebte mit dem Körper vor dem Eingang wie ein Deckel auf einem Glas. Die dritte Zunge zog an mir, als sei ich ein Fisch an der Angel.
    Ich grub die Finger in den Boden, fand jedoch keinen Halt. Ich drehte mich auf den Rücken und versuchte, mit der freien Hand einen Stein zu packen, aber ich rutschte zu schnell. Dann hackte ich mit der Schere auf die Zunge ein, aber sie war sehnig und hart. Ich kniff die Augen zu, denn ich wollte nicht, dass dieser gähnende Rachen das Letzte war, was ich sah, und hielt die Schere jetzt mit beiden Händen und nach vorn gerichtet. Die Zeit zog sich unendlich in die Länge, so wie es angeblich bei Verkehrsunfällen oder dem Sturz aus großer Höhe der Fall ist. Und dann prallte ich mit voller Wucht auf den Hollow. Sämtlicher Sauerstoff wurde aus meinen Lungen gepresst, und ich hörte das Biest schreien. Als ich die Augen öffnete, sah ich, dass die Schere bis zum Griff in den Augenhöhlen des Monsters steckte. Sein Heulen war so laut, als würden zehn Schweine abgestochen. Er warf sich in dem aufgeweichten Matsch hin und her und weinte schwarze Tränen – eine zähe Flüssigkeit, die über dem rostigen Scherengriff hervorquoll.
    Ich spürte, dass es starb, dass das Leben aus ihm entwich, sich die Zunge um meinen Knöchel lockerte. Ich fühlte auch die Veränderung, die in mir vor sich ging, wie sich Angstklumpen in meinem Magen langsam lösten. Schließlich erstarrte die Kreatur und versank im Moor. Der Schlamm schloss sich über ihrem Kopf, und ein dunkler Blutfleck war das einzige Zeichen dafür, dass sie je existiert hatte.
    Aber das Moor zog auch mich in die Tiefe. Je mehr ich strampelte, desto stärker wurde der Sog. Was für einen sonderbaren Fund wir beide in tausend Jahren abgeben würden, dachte ich, gemeinsam im Torf konserviert.
    Ich versuchte, zu einer Scholle festen Bodens zu paddeln, grub mich jedoch immer tiefer ein. Das Moor schien an mir hochzuklettern, stieg an meinen Armen empor, meiner Brust, umschloss meinen Hals wie eine Schlinge.
    Ich schrie um Hilfe – und wundersamerweise kam Hilfe. Etwas, das ich im ersten Moment für ein großes Glühwürmchen gehalten hatte, kam auf mich zugeflogen. Dann hörte

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