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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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zuckte mit den Schultern seines Hausrocks. »Kein Grund, sich aufzuregen.«
    »Das passiert jeden Abend?«
    Miss Peregrine nickte. »Jeden Abend«, sagte sie. Trotzdem beruhigte mich das nicht sehr.
    »Sollen wir rausgehen und es Jacob zeigen?«, schlug Hugh vor.
    »Ja, dürfen wir?«, bettelte Claire plötzlich begeistert, nachdem sie zwanzig Minuten lang geschmollt hatte. »Der Übergang ist jedes Mal so schön.«
    Miss Peregrine zögerte und wandte ein, dass noch nicht alle zu Ende gegessen hätten, aber sie bettelten so lange, bis sie nachgab. »Also gut, aber ihr zieht eure Masken an«, befahl sie.
    Die Kinder sprangen von den Stühlen und stürmten aus dem Raum. Nur Olive blieb zurück, bis sich jemand ihrer erbarmte und zurückgeeilt kam, um sie vom Stuhl loszubinden. Ich lief hinter den anderen her in die holzgetäfelte Eingangshalle. Dort holten sie sich aus einem Schrank etwas, das ich nicht identifizieren konnte, bevor sie nach draußen rannten. Miss Peregrine reichte auch mir einen dieser sonderbaren Gegenstände. Ich drehte ihn in Händen – ein schlaffes Gesicht aus schwarzem Gummi, mit zwei wie im Schock erstarrten Bullaugen aus Glas sowie einer hängenden Schnauze, die an der Spitze in einen perforierten Kanister mündete.
    »Na los«, forderte Miss Peregrine mich auf. »Zieh sie an.« Da wurde mir klar, was es war: eine Gasmaske.
    Ich stülpte sie mir über den Kopf und folgte Miss Peregrine nach draußen auf den Rasen, wo die Kinder wie Schachfiguren verstreut auf einem unsichtbaren Brett standen. Hinter ihren Masken nicht zu erkennen, beobachteten sie die schwarzen Rauchschwaden am Himmel. Verschwommen sah man in der Ferne Baumkronen brennen. Das Dröhnen der unsichtbaren Flugmaschinen schien von überall zu kommen.
    Immer wieder gab es dumpfe Explosionen, die ich in meiner Brust wie das Schlagen eines zweiten Herzens spürte, gefolgt von Wellen glühender Hitze, als würde jemand direkt vor mir einen Ofen öffnen und schließen. Ich duckte mich bei jeder Erschütterung, während die Kinder nicht einmal zusammenzuckten. Stattdessen sangen sie im Rhythmus der Bomben:
    Lauf, Hase, lauf, Hase, lauf, lauf,
LAUF
!
    Bang, bang,
BANG
tönt des Bauern Schießgewehr.
    Doch der Hase sträubt sich sehr.
    Lauf, Hase, lauf, Hase,
LAUF
!
    Leuchtspurgeschosse markierten den Himmel in dem Moment, als das Lied endete.
    Die Kinder applaudierten wie Zuschauer bei einem Feuerwerk, grelle Farbblitze spiegelten sich auf den Bullaugen ihrer Masken. Der nächtliche Angriff war zu einem normalen Bestandteil ihres Lebens geworden, den sie nicht als bedrohlich empfanden. Das Foto, das ich dazu in Miss Peregrines Album gesehen hatte, trug sogar den Titel:
Unsere wunderschöne Vorführung.
Und auf ihre eigene, morbide Weise war sie das auch.

    Es begann zu nieseln, als hätten die umherfliegenden Metallsplitter Löcher in die Wolken gerissen. Die Erschütterungen wurden seltener. Offenbar war der Angriff vorbei.
    Eines nach dem anderen setzten sich die Kinder in Bewegung. Ich dachte, wir würden ins Haus zurückkehren, aber sie spazierten an der Eingangstür vorbei in Richtung eines anderen Teils des Gartens.
    »Wohin gehen wir?«, fragte ich zwei der maskierten Kinder.
    Sie antworteten nicht. Aber sie schienen meine Angst zu spüren, denn sie nahmen behutsam meine Hand und zogen mich hinter sich her. Wir gingen um das Haus herum. Dort hatten sich die anderen schon um eine riesige Formschnitthecke versammelt. Diese hatte jedoch nicht die Gestalt eines mythischen Wesens, sondern die eines Mannes, der im Gras ruht. Er stützte sich auf den Ellbogen und zeigte mit der anderen Hand in den Himmel. Ich brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass es eine belaubte Kopie von Michelangelos Adam war, das berühmte Fresko in der Sixtinischen Kapelle. Man konnte beinahe den gelassenen Ausdruck in Adams Gesicht erkennen, dessen Augen aus zwei blühenden Gardenien bestanden.
    Ich entdeckte das Mädchen mit den wilden Haaren ganz in der Nähe. Sie trug ein Blümchenkleid, das aussah wie eine Patchworkdecke, weil es so oft geflickt worden war. Ich ging zu ihr, zeigte auf Adam und fragte: »Hast du das gemacht?«
    Sie nickte.
    »Wie denn?«
    Sie beugte sich hinunter und hielt die Handfläche über das Gras. Sekunden später schlängelten sich Blätter in Form einer Hand, wuchsen nach oben, bis sie die Handfläche des Mädchens berührten.
    »Das ist verrückt«, sagte ich. Ich hatte nicht gerade eine wortgewandte Phase.
    Jemand signalisierte

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