Die Insel der besonderen Kinder
mir, still zu sein. Die Kinder standen alle wie gebannt, reckten die Hälse gen Himmel und zeigten auf eine bestimmte Stelle. Ich sah hoch, entdeckte jedoch nichts als Rauchwolken, die das flackernde Orange von Flammen reflektierten.
Dann hörte ich das Geräusch eines einzelnen Flugzeugs. Es kam immer näher. Panik überflutete mich.
Das ist die Nacht, in der sie getötet wurden. Nicht nur die Nacht, sondern der Moment.
Konnte es sein, dass diese Kinder jeden Abend starben, um dann durch die Zeitschleife wiederaufzuerstehen, wie der Phönix dazu bestimmt, bis in alle Ewigkeit immer wieder zu verbrennen und dann zu neuem Leben zu erwachen?
Ein kleiner grauer Punkt stieß durch die Wolken und kam auf uns zugerast. Ein Stein, dachte ich, aber Steine pfeifen nicht, wenn sie fallen.
Lauf, Hase, lauf, Hase, lauf. Das hätte ich getan, aber dazu war es zu spät. Ich konnte nichts tun, außer zu schreien und mich schutzsuchend auf den Boden zu werfen. Aber es gab keinen Schutz. Ich landete im Gras und legte die Arme über den Kopf, als könnte ich das Unglück dadurch von meinem Körper fernhalten.
Fest presste ich die Zähne zusammen, schloss die Augen und hielt die Luft an. Aber statt des ohrenbetäubenden Knalls, gegen den ich mich wappnete, wurde es plötzlich still um mich her, totenstill. Keine dröhnenden Motoren mehr, keine pfeifenden Bomben, keine entfernten Schüsse. Als hätte jemand den Ton abgedreht.
War ich tot?
Ich nahm die Arme vom Kopf und sah vorsichtig hinter mich. Die sich im Wind beugenden Äste waren mitten in der Bewegung erstarrt. Der Himmel war ein Foto von Flammen, die an einer Wolkenbank leckten. Regentropfen hingen vor meinen Augen wie festgefroren in der Luft. Und mitten im Kreis der Kinder, wie das Objekt eines geheimen Rituals, schwebte eine Bombe, mit der Spitze voran balancierte sie auf Adams ausgestrecktem Zeigefinger.
Und dann, wie bei einem Film, der im Projektor zu brennen beginnt, breitete sich eine Blüte aus Hitze und grellem Weiß vor mir aus und verschluckte alles.
* * *
Das Erste, was ich vernahm, als ich wieder hören konnte, war Lachen. Dann verblasste das Weiß, und ich sah, dass wir wie zuvor alle um Adam herumstanden. Aber die Bombe war verschwunden. Es war eine ruhige Nacht, und das einzige Licht am Himmel war der Vollmond. Miss Peregrine tauchte über mir auf und streckte die Hand aus. Ich ergriff sie und rappelte mich benommen hoch.
»Bitte entschuldige«, sagte sie. »Ich hätte dich darauf vorbereiten müssen.« Ihr Lächeln konnte sie jedoch nicht unterdrücken, ebenso wenig wie die Kinder, die jetzt ihre Masken abstreiften. Ich war ziemlich sicher, dass sie mich ein bisschen hatten vorführen wollen.
Mir war schwindelig, und meine Laune befand sich auf dem Tiefststand. »Es ist Zeit, dass ich nach Hause gehe«, sagte ich zu Miss Peregrine. »Mein Dad wird sich Sorgen machen.« Dann fügte ich schnell hinzu: »Ich
kann
doch nach Hause gehen, oder?«
»Natürlich«, versicherte sie und fragte mit lauter Stimme nach einem Freiwilligen, der mich zurück zum Steingrab begleiten sollte. Zu meiner Überraschung trat Emma vor. Miss Peregrine wirkte erfreut.
»Sind Sie sicher, dass sie die Richtige ist?«, flüsterte ich der Headmistress zu. »Noch vor ein paar Stunden war Emma bereit, mir die Kehle durchzuschneiden.«
»Miss Bloom mag zwar jähzornig sein, aber sie ist einer meiner zuverlässigsten Schützlinge«, antwortete sie. »Und ich glaube, sie möchte ein paar Dinge mit dir besprechen, ohne dass neugierige Ohren dabei zuhören.«
Fünf Minuten später waren wir unterwegs, nur dass dieses Mal meine Hände nicht gefesselt waren und Emma mir kein Messer in die Rippen drückte. Ein paar der jüngeren Kinder begleiteten uns bis zum Ende des Gartens. Sie erkundigten sich, ob ich am nächsten Tag wiederkommen würde. Ich sagte vage zu. Schließlich verstand ich kaum, was gerade passierte, und fühlte mich außerstande, Überlegungen bezüglich der Zukunft anzustellen.
Allein gingen Emma und ich in den dunklen Wald. Als das Haus hinter uns verschwunden war, streckte sie die geöffnete Hand aus, schlenkerte ein paarmal aus dem Handgelenk, und ein kleiner Feuerball leuchtete über ihren Fingern auf. Sie trug ihn vor sich her wie ein Kellner sein Tablett. Er erleuchtete den Weg und warf unsere Schatten an die Bäume.
»Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie cool das ist?«, versuchte ich, das Schweigen zu brechen, das mit jeder Sekunde unbehaglicher
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