Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
Vom Netzwerk:
Wachdienst eingeteilt war. Wir fanden ihn starr auf einem Stuhl sitzend. Offenbar litt er unter einem Alptraum. Anfangs schrie er nur, aber dann begann er zu stammeln, rief etwas von kochender See und Asche, die vom Himmel regnete, und einem endlosen Rauchteppich, der die Erde bedeckte. Nach ein paar Minuten dieser apokalyptischen Verkündigungen fiel er erschöpft in einen unruhigen Schlaf.
    Die anderen hatten ihn schon so erlebt – oft genug, dass es Fotos davon in Miss Peregrines Album gab –, und sie wussten, was zu tun war. Unter der Anleitung von Miss Peregrine trugen sie ihn an Armen und Beinen in sein Bett. Als er Stunden später aufwachte, behauptete er, sich nicht an den Traum erinnern zu können, und dass Träume, an die er sich nicht erinnern konnte, selten wahr wurden. Die anderen akzeptierten das, weil sie schon genug Sorgen hatten. Ich spürte jedoch, dass er etwas vor uns verheimlichte.

    Wenn in einem kleinen Ort wie Cairnholm jemand verschwindet, bleibt das nicht unbemerkt. Als Martin am Mittwoch weder das Museum öffnete noch zu seinem abendlichen Schlummertrunk im Priest Hole einkehrte, fragten sich die Leute, ob er krank war. Kevs Frau ging hin, um nach ihm zu sehen, und stellte fest, dass seine Haustür offen stand, Brieftasche und Brille auf dem Küchentisch lagen, Martin jedoch nicht da war. Als er am nächsten Tag noch immer nicht auftauchte, wurde ein Suchtrupp losgeschickt. Die Männer öffneten Schuppentüren und suchten unter umgekippten Booten, überall, wo ein lediger Mann, der Whiskey liebte, seinen Rausch ausschlafen konnte. Sie hatten gerade erst mit der Suche begonnen, als eine Meldung über den Kurzwellensender kam: Martins Leichnam war aus dem Meer gezogen worden.
    Ich befand mich mit Dad im Pub, als der Fischer hereinkam, der ihn gefunden hatte. Es war erst kurz nach Mittag, trotzdem wurde ihm automatisch ein Bier hingestellt, und innerhalb weniger Minuten fing der Mann an, seine Geschichte zu erzählen.
    »Ich habe oben am Gannet’s Point meine Netze eingeholt«, begann er. »Sie waren schwer wie sonst was. Das war seltsam, weil ich da sonst nur Kleinzeug raufhole. Ich dachte, ich wäre an einer Krabbenfalle hängen geblieben, also schnappte ich mir den Fischhaken und stocherte damit unter dem Boot herum, bis er stecken blieb.« Wir rutschten alle mit unseren Stühlen näher heran, als wäre gerade Märchenstunde in einem seltsamen Kindergarten. »Es war Martin. Er sah aus, als wäre er auf kürzestem Weg die Klippen runter und dann von Haien angeknabbert worden. Weiß der Himmel, was er mitten in der Nacht da draußen wollte, in Bademantel und Unterhose.«
    »Er war nicht angezogen?«, fragte Kev.
    »Vielleicht fürs Bett«, antwortete der Fischer. »Aber nicht für einen Spaziergang im Regen.«
    Kurze Gebete für Martins Seele wurden gemurmelt, und dann begannen die Männer zu spekulieren. Innerhalb weniger Minuten war der Raum eine rauchgeschwängerte Bude voller angetrunkener Doubles von Sherlock Holmes.
    »Er könnte ertrunken sein«, meinte einer der Männer.
    »Wenn er draußen bei den Klippen war, hat er vielleicht den Schafkiller gesehen und ihn verfolgt«, sagte ein anderer.
    »Was ist mit diesem nervösen Burschen, der hier plötzlich aufgetaucht ist?«, fragte der Fischer. »Der da draußen zeltet?«
    Mein Vater richtete sich auf seinem Barhocker auf. »Ich habe ihn zufällig getroffen«, sagte er. »Gestern.«
    Ich sah ihn überrascht an. »Das hast du mir gar nicht erzählt.«
    »Ich war spätabends auf dem Weg in die Apotheke, wollte noch schnell etwas besorgen. Der Bursche ging in die andere Richtung, aus dem Dorf raus. Er hatte es ziemlich eilig. Als er an mir vorbeiwollte, habe ich ihn angerempelt – mit Absicht. Er blieb stehen und starrte mich an, als wolle er mich einschüchtern. Ich war wütend und habe ihn gefragt, was er hier tut und woran er arbeitet. ›Normalerweise redet man mit den Leuten, wenn man hier ankommt‹, sagte ich zu ihm.«
    Kev beugte sich über die Theke. »Und?«
    »Um ein Haar hätte er mir eine verpasst, aber dann ist er einfach gegangen.«
    Viele der Männer hatten Fragen – was ein Ornithologe treibt, warum der Typ zeltet und andere Dinge, die ich schon wusste. Ich hatte nur eine Frage und brannte darauf, sie zu stellen. »Ist dir etwas an ihm aufgefallen? An seinem Gesicht?«
    Mein Vater überlegte einen Moment lang. »Ja, allerdings. Er trug eine Sonnenbrille.«
    »Nachts?«
    »Ja, das war seltsam.«
    Mich beschlich ein

Weitere Kostenlose Bücher