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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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nicht bei ihm sein, wenn er in diesem Zustand war. Er blies Trübsal, und wenn er nicht schweigend vor sich hin litt, erzählte er mir Dinge, die ich nicht hören wollte.
    »Eines Tages wird mich deine Mutter verlassen«, sagte er einmal. »Wenn mir nicht bald etwas gelingt, tut sie das bestimmt.«
    Ich fing an, ihm aus dem Weg zu gehen. Er schien es gar nicht zu merken. Es wurde deprimierend einfach, ihn über mein Kommen und Gehen anzulügen.
    In der Zwischenzeit riegelte Miss Peregrine das Kinderheim so hermetisch ab, als wäre der Ausnahmezustand erklärt worden. Die kleineren Kinder durften ohne Eskorte nirgendwohin, die größeren waren immer nur zu zweit unterwegs, und Miss Peregrine musste stets darüber informiert sein, wo sich jeder befand. Allein die Erlaubnis zu bekommen, nach draußen zu gehen, war ein Geduldsspiel.
    Wachposten patrouillierten in Wechselschichten vor und hinter dem Haus. Zu jeder Tageszeit und oft auch des Nachts sah man gelangweilte Gesichter hinter den Fensterscheiben. Wenn die Kinder bemerkten, dass sich jemand dem Haus näherte, zogen sie an einer Schnur, die eine Glocke in Miss Peregrines Zimmer zum Läuten brachte. Das hatte zur Folge, dass sie bei jedem meiner Besuche schon hinter der Tür wartete, um mich zu verhören. Was passierte außerhalb der Zeitschleife? Hatte ich irgendetwas Sonderbares bemerkt? War ich sicher, dass mir niemand gefolgt war?
    Es überraschte mich nicht, dass die Kinder anfingen, durchzudrehen. Die kleineren wurden wild, während die größeren zusehends resignierten. Dramatisches Seufzen kam immer häufiger aus dem Nichts – oftmals der einzige Hinweis, dass Millard ein Zimmer betreten hatte. Hughs Insekten schwärmten aus und stachen die Kinder, bis sie schließlich aus dem Haus verbannt wurden. Von da an hing Hugh die ganze Zeit am Fenster, während seine Bienen außen über die Scheibe krabbelten.
    Olive behauptete, sie hätte ihre beschwerten Schuhe verlegt, und krabbelte an der Decke herum wie eine Fliege. Sie warf Reiskörner auf die Köpfe der anderen, bis die nach oben sahen und sie entdeckten. Olive brach dann in solch schallendes Gelächter aus, dass ihre Levitation nachließ und sie sich an einem Kronleuchter oder einer Vorhangstange festhalten musste, um nicht herunterzufallen. Am sonderbarsten verhielt sich Enoch. Er verschwand in seinem Labor im Keller und führte Experimente an seinen Tonsoldaten durch, bei denen sich Dr. Frankenstein die Nackenhaare gesträubt hätten: Er amputierte zweien die Gliedmaßen, um aus einem dritten einen scheußlichen Spinnenmann zu machen, oder er quetschte vier Hühnerherzen in die Brust einer Tonfigur, um einen Ton-Supermann zu erschaffen, dem nie die Kraft ausging. Einer nach dem anderen brachen die kleinen grauen Körper unter den Strapazen zusammen, und der Keller erinnerte an ein Kriegslazarett.
    Miss Peregrine war unaufhörlich in Bewegung. Sie rauchte eine Pfeife nach der anderen, während sie von Zimmer zu Zimmer humpelte und nach den Kindern sah, als könnten die in dem Moment verschwinden, wenn sie sie nicht mehr im Blick hatte. Miss Avocet blieb, erwachte hin und wieder aus ihrer Starre und wanderte durch die Flure, rief die Namen ihrer armen, verlassenen Schützlinge, bevor sie jemand auffing und zurück ins Bett brachte. Es gab jede Menge paranoider Spekulationen über das, was Miss Avocet zugestoßen war und warum die Hollows die Ymbrynes kidnappen wollten. Die Theorien reichten von bizarr (um die größte Zeitschleife der Geschichte zu erschaffen, groß genug, um den ganzen Planeten zu schlucken) bis zu lächerlich optimistisch (damit die Hollows Gesellschaft hatten, weil man als scheußliches, kinderfressendes Monster sehr einsam sein kann).
    Schließlich legte sich düstere Schwermut über das Haus. Zwei Tage eingesperrt zu sein, hatte alle lethargisch werden lassen. Da Miss Peregrine davon überzeugt war, Routine sei das beste Mittel gegen Depressionen, versuchte sie, alle zu motivieren, am Unterricht teilzunehmen, die täglichen Mahlzeiten zuzubereiten und das Haus blitzsauber zu halten. Aber sobald die Kinder nicht mit irgendwelchen Aufgaben beschäftigt waren, ließen sie sich in die Sessel sinken, starrten dumpf aus den Fenstern, blätterten in Büchern voller Eselsohren, die sie schon hundertmal gelesen hatten, oder schliefen.
    Ich hatte Horaces besonderes Talent noch nie in Aktion gesehen, bis er eines Abends zu schreien begann. Wir stürmten nach oben auf den Dachboden, wo er zum

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