Die Insel der Dämonen
klar, aber der Nebel über dem Meer wurde immer dichter.
»Dämonenwetter«, lächelte sie und lehnte sich zurück, um die Pracht der Sterne zu bewundern. Sie versuchte, sich an bestimmte Sternbilder zu erinnern, damit sie ihrer Tochter etwas erzählen konnte. Und mit diesen Gedanken schlief sie ein.
Sie erwachte gegen Morgen von einem fremdartigen Geräusch. Es war kurz vor Tagesanbruch, die Sterne über ihr verblaßten schon. Nebelfetzen zogen vorüber. Da war ein fremder Ton, oder hatte sie das geträumt? Doch, da: ein ferner, dünner, unwirklicher Klang. Es tönte blechern, wie ... ja, wie eine alte, verstimmte Kirchenglocke.
Es kam vom Meer! Marguerite sprang auf. Da war es wieder - die Glocke über dem Meer, und dann eine Stimme, die sang. Es lag immer noch dichter Nebel über der See, und sie konnte nichts sehen, aber dafür hörte sie es um so deutlicher: Da sang jemand und schlug eine Glocke! Die Sprache war ihr unbekannt, aber es war ohne Zweifel die Stimme eines Menschen.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Was sollte sie tun? Mit fahrigen Händen entzündete sie das Feuer neu. Über ihr kreisten erste Möwen - ihre mißtönenden Rufe übertönten die menschliche Stimme, aber nicht die Glocke. Sie mußte rufen - und Marguerite rief, nein, sie schrie! Sie schrie, so laut sie konnte, und rannte und stolperte hinunter zum Ufer. Die Stimme brach ab und auch die Glocke verstummte. Dann sah sie es: das große Fischerboot, das sich langsam aus dem Nebel schob. Sie schrie, lachte, weinte und sprang am Ufer auf und ab. Jetzt schienen die Seeleute sie entdeckt zu haben - aber was machten sie da?
Marguerite erstarb ihr Ruf auf den Lippen. Sie wendeten das Boot! Auf dem Kutter wurde gerufen und geschrien und über ihr tauchten plötzlich wie aus dem Nichts Hunderte von Möwen auf, die alle Rufe übertönten. Marguerite konnte es nicht fassen - das Boot wendete und setzte Segel.
Sie sank auf die Knie.
Ein Ruck durchfuhr das Boot und Kapitän Marais schreckte aus dem Schlaf. Dann stürmte der zitternde Jacques seine Kabine und stammelte irgend etwas von Dämonen. Marais stand auf, stopfte sich das Hemd in die Hose und stürzte an Deck. Selbst auf diese Entfernung erkannte der Kapitän, daß dieses Wesen, das dort am Strand kniete, kein Dämon war. Ein Mensch war es, und verzweifelt. Kapitän Marais befahl seinen Männern zu wenden.
Abschied
Marguerite de La Roque de Roberval wurde am 21. September 1544 vom Fischerboot Isabelle gefunden und gerettet. Als die Seeleute auf die Insel kamen - nur der alte Antoine wollte nicht mit und durfte daher das Schiff bewachen -, staunten sie nicht schlecht darüber, was dieses junge Mädchen geschafft hatte, und als Marguerite ihnen ihre Geschichte erzählte, wollten sie sie zuerst nicht glauben. Aber sie zeigte ihnen die Salinen und ihre Hütte und die Räucherkammer - und sie zeigte ihnen die drei Gräber.
Später aßen sie vor der Hütte zu Mittag. Es gab gepökeltes Elchfleisch, Lachs, getrocknete Beeren und Inselbrot - für die Männer der Isabelle eine willkommene Abwechslung. Nur Marguerite aß kaum.
Kapitän Marais spürte ihre widerstreitenden Gefühle. Er gab ihr Zeit, sich von ihren Liebsten zu verabschieden. Es ist nicht zu beschreiben, was Marguerite empfand, als sie sich von Henri, Damienne und Henriette verabschiedete, aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß dort in den Gräbern nur ihre Körper ruhten. Und zur Erinnerung pflückte sie von jedem Grab eine der dort wildwachsenden Pflanzen. Es waren nur Gräser, denn es blühte nichts mehr auf der Insel, aber das genügte ihr.
Dann gingen sie hinunter zur Salzbucht. Jacques bot an, Marguerite zu tragen, aber sie lehnte ab und watete mit den Männern zum Beiboot. Es war nicht weit zur Isabelle, wo Antoine bereits ungeduldig wartete. Und es war gar nicht leicht, ihn davon zu überzeugen, daß Marguerite ein Wesen aus Fleisch und Blut war.
»Sie kann dir eine Geschichte erzählen«, sagte Jacques, »so eine hast selbst du noch nicht gehört.«
Dann setzten sie Segel und nahmen Kurs Richtung Süden. Marguerite stand am Heck und blickte lange zurück. Die Insel wurde kleiner und kleiner. Bald war nicht mehr zu erkennen, ob die Hügel wirklich Hügel oder doch bloß tief hängende Wolken waren. Marguerite blieb stehen, bis auch diese flüchtigen Erscheinungen hinter dem Horizont verschwunden waren. Erst dann drehte sie sich um und blickte nach vorn, wo die Insel Baccalaos in Sicht kam.
Zwei Monate
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