Die Insel der Dämonen
ich weiß, haben diese Wilden keine Arzte, sondern nur so etwas wie Schamanen. Um ihre Gesundheit wird es nicht allzu gut bestellt sein, fürchte ich. Bedenkt nur, daß diejenigen, die Monsieur Cartier nach Frankreich gebracht hatte, fast alle gestorben sind.«
»Aber hat Monsieur Cartier nicht auch berichtet, daß diese Wilden manche Krankheiten mit einfachen Kräutern und Rinden heilen können?«, fragte Marguerite.
»Gewiß, Mademoiselle, wahrscheinlich können sie einige wenige leichtere Krankheiten mit wohltuenden Kräutern lindern. Aber ich bezweifle, daß sie von den Segnungen des Aderlasses oder des Blutschröpfens wissen.«
»Es ist die Hauptsache, daß Ihr unsere Kolonisten gesund erhaltet, Herr Doktor«, sagte de Roberval. »Die Wilden gehen Euch zunächst nichts an.«
»Gewiß, Kommandant«, entgegnete der Arzt mit einer angedeuteten Verbeugung.
»Und Ihr, Mademoiselle«, fragte Rambures und deutete mit einer Hähnchenkeule, die er gerade abnagen wollte, auf sie. »Was erhofft Ihr, in der Neuen Welt zu finden? Den Prinzen und Erben dieser sagenhaften Reiche?« Wieder lachte er dröhnend.
»Gewiß nicht, Monsieur«, rief Marguerite und errötete.
»Ihr vergeßt Eure Manieren, Monsieur«, sagte de Roberval mit scharfer Stimme. »Meine Nichte wird die Erste Dame am Hofe des neuen Frankreich sein, und sie wird gewiß keinen von diesen halbnackten Wilden heiraten!«
»Verzeiht, Mademoiselle, ich wollte Euch keinesfalls zu nahe treten«, sagte Rambures, und seine glänzend gute Laune war wie weggeblasen.
Danach verlief das Gespräch nur noch schleppend, und alle wirkten erleichtert, als die Tafel aufgehoben wurde.
»Was für ein furchtbarer Mensch, dieser Kaufmann«, empörte sich Marguerite, als sie mit Damienne in der Kajüte war.
»Besser, du gewöhnst dich an ihn. Wir werden noch oft zusammen essen müssen. Die Überfahrt wird Wochen dauern.«
»Aber hast du gesehen, wie kleinlaut er war, als mein Onkel ihn zur Ordnung gerufen hat?«
»Dein Onkel ist auf dieser Reise Herr über Leben und Tod. Wir haben einen Arzt und einen Priester an Bord, aber keinen Richter. Dein Onkel ist das Gesetz, das auf diesem Schiff und in der Neuen Welt gilt. Rambures weiß das, und es ist besser, auch du behältst das im Gedächtnis, mein Kind«, sagte Damienne, und Marguerite hörte Besorgnis aus ihrer Stimme heraus.
Am nächsten Morgen lichtete die Flotte Anker. Die Sonne war noch nicht aufgegangen und die Morgendämmerung hatte gerade erst eingesetzt. Am Hafen hatten sich dennoch einige Dutzend Menschen versammelt, um der Flotte ein Lebewohl mit auf den Weg zu geben. Es waren die Angehörigen der Matrosen und Soldaten und einige wenige Neugierige.
Plötzlich entdeckte Marguerite eine unscheinbare, in Grau gekleidete Gestalt auf der Stadtmauer. Auch Monsieur Soubise war erschienen. Marguerite fröstelte. Sie war froh, daß er nicht mit an Bord war. Doch was wollte er am Hafen? Lebewohl wünschen? Sie schüttelte den Gedanken an ihn ab und ließ ihren Blick über die anderen Menschen am Hafen schweifen. Stumm standen sie am Kai und stumm standen auch die Reisenden an Deck der Schiffe und blickten auf die schlafende Stadt. In der Morgendämmerung sah Saint-Malo noch düsterer aus als sonst, fand Marguerite. Aber wie viele andere an Bord fragte sie sich, ob sie die gedrungenen Häuser und engen Gassen jemals wiedersehen würde. Es lag eine Reise voll unbekannter Gefahren vor ihr, und alles, was sie kannte, blieb hinter ihr zurück.
Die Flotte nahm zunächst Kurs nach Westen. Am späten Nachmittag erreichte man die Insel Ouessant und schwenkte nach Süden, entlang der Küstenlinie in Richtung La Rochelle. Abend und Nacht verliefen ruhig und auch der nächste Tag brachte günstige Winde. Die Flotte lief mit einer Geschwindigkeit von etwa elf Knoten und erreichte La Rochelle am frühen Abend des 17. April.
Die versprochenen Kanonen waren jedoch nicht da. Der Hafenmeister, ein schüchternes, grauhaariges Männchen mit zitternden Händen, war sehr verlegen, als er erklärte, daß die Geschütze am Vortag auf Schiffe der königlichen Flotte verladen worden seien. Wochenlang hätten die Geschütze im Hafen auf die Flotte gewartet, die entsprechende Nachricht an de Roberval müsse irgendwo verloren gegangen sein. Und nun sei eben der Krieg mit Spanien leider doch ausgebrochen. Deshalb habe die Königliche Marine die Geschütze wieder selbst in Anspruch genommen.
De Roberval war außer sich vor Wut. Es hätte nicht viel
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