Die Insel der Dämonen
gefehlt und er hätte den Hafenmeister erwürgt. Kapitän de Xaintonge gelang es nur mit Mühe, ihn wieder zu beruhigen.
Am nächsten Morgen lief die Flotte mit der Flut aus. Zu Marguerites Überraschung nahm die Flotte nicht gleich Kurs auf den offenen Atlantik, sondern segelte zunächst wieder nach Norden. Kapitän de Xaintonge erklärte ihr den Grund: »Mademoiselle, es gehört zu den Schwierigkeiten auf einer so weiten Seereise, den genauen Kurs zu halten. Am einfachsten ist es, genauen Westkurs zu nehmen. Unser Ziel auf der anderen Seite des Meeres liegt auf der Höhe von Saint-Nazaire. Würden wir von La Rochelle aus direkt nach Westen segeln, könnte es sein, daß wir unser Ziel verfehlen und am Ende in unbekannten und unsicheren Gewässern herumirren.«
Marguerite erfuhr staunend von Längen- und Breitengraden und daß der geübte Seemann anhand der Sterne oder des Sonnenstandes zuverlässig den Breitengrad seiner Position bestimmen konnte, daß aber niemand in der Lage war, auf See den genauen Längengrad zu bestimmen.
Von Saint-Nazaire aus würde der Weg immer präzise nach Westen führen, bis man auf die geschützten Buchten der Insel Baccalaos treffen würde. Dort sollten die Vorräte aufgefüllt werden, bevor es zum eigentlich Ziel der Reise am Strom Saint-Laurent weitergehen würde. »Doch bis dahin, Mademoiselle, werden noch einige Wochen vergehen.«
»Und wann werden wir dort eintreffen, Kapitän?«
»Wenn die Winde uns wohlgesinnt sind, werden wir Baccalaos Anfang oder Mitte Juni erreichen, Mademoiselle.«
Als Marguerite am nächsten Morgen erwachte, war die Flotte längst auf dem offenen Meer. Es war ein ruhiger Apriltag mit leichten Winden. Die Anne hob und senkte sich auf den weiten und sanften Wogen des Atlantiks. Marguerite fühlte sich seltsam. Sie hatte das Gefühl, dringend frische Luft zu brauchen, und begab sich, kaum war sie angekleidet, auf das Oberdeck.
»Kein Frühstück, Mademoiselle?«, fragte der Koch, als sie an der Kombüse vorüberlief.
»Danke, jetzt nicht, Marcel«, antwortete Marguerite. Allein der Geruch frisch gebratenen Specks weckte in ihr starke Übelkeit.
Oben an Deck war es besser. Die kühle Brise erfrischte und sie atmete tief ein. Aber die Erleichterung währte nur kurz, denn als sie auf das Meer hinausblickte, das sich beständig bewegte, wurde ihr schwindlig, und sie mußte sich an der Reling festhalten. Einige Meter weiter standen zwei Matrosen, die einander vielsagende Blicke zuwarfen.
»Guten Morgen, Mademoiselle, wie schön, Euch zu sehen«, sagte eine halblaute Stimme hinter ihr. Es war Henri. Sie drehte sich um, blickte in seine freudestrahlenden Augen und - übergab sich. Sie schaffte es gerade noch, sich über die Reling zu lehnen.
»Kann ich Euch helfen?«, fragte Henri.
»Ich glaube, ich sterbe«, entgegnete Marguerite schwach.
»Aber nein, Mademoiselle, das ist nur die Seekrankheit«, sagte einer der Matrosen, der hinzugetreten war, »das geht vorüber.«
»Und wann?«
»Ein bißchen dauern wird es schon, Mademoiselle.«
Er half Henri, die geschwächte Marguerite wieder unter Deck zu bringen. Damienne, die gerade von einem ausgiebigen Frühstück zurückkehrte, nahm sie in Empfang.
»Was habt Ihr denn nun schon wieder angestellt, Leutnant?«
»Ich? Gar nichts. Es ist die Seekrankheit, Madame«, entgegnete Henri verdutzt.
»So? Na, dann danke ich Euch, daß Ihr sie hergebracht habt, den Rest übernehme ich«, sagte Damienne und schlug Henri die Tür vor der Nase zu. Dann kümmerte sie sich um Marguerite.
»Leg dich nur hin, mein Lämmchen, es ist nicht so schlimm, wie es sich anfühlt. Das macht jeder durch, der das erste Mal zur See fährt.«
»Gibt es keine Medizin dagegen?«
»Nicht daß ich wüßte. Faß dich in Geduld und bete! Das hilft immer.«
»Und Henri?«
»Ist sicher jetzt keine Medizin. Bete, und dann versuchst du am besten zu schlafen.«
Den ganzen Tag und die ganze folgende Nacht hatte die Seekrankheit Marguerite fest im Griff. Damienne besorgte ihr Wasser und zwang sie, etwas trockenen Schiffszwieback zu essen. Angeblich sollte das den Magen beruhigen, aber es schien eher das Gegenteil zu bewirken: Sobald Marguerite etwas zu sich genommen hatte, wollte es umgehend wieder hinaus. Irgendwann war sie so ermattet, daß sie einschlief.
Sie wurde wieder wach, als sie ein seltsames, rhythmisches Klatschen und das Schreien eines Menschen hörte.
»Was ist das, Damienne?«
»Auf Deck wird ein Mann
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