Die Insel der Krieger
er beiläufig. »Wenn du willst. « Sie schenkte ihm ein letztes Lächeln und verschwand im Wald. Nalig fühlte sich seltsam betäubt, als er zum Tempel zurückging, wus s te allerdings nicht recht weshalb.
Ilia saß in der kleinen Wohnküche des Nachbarhauses. Einige Zeit würde dieses noch ihr Zuhause sein, denn der Aufbau der Schmiede ging nur langsam voran. Ihre Gastgeber hatten selbst vier Kinder und so ging es im Haus immer lebhaft zu. Ilia ertrug diesen Lärm nicht. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass ihr ständig ein Spiegel vor Augen gehalten wurde, der ihr zeigte, was sie selbst nicht mehr hatte: Eine Mutter, einen Bruder – eine Familie. So verließ sie das Haus, wann immer sie konnte. Leider erlaubte es ihr schlechter Zustand ihr immer seltener, nach draußen zu gehen. Übelkeit und Schmerzen begleiteten sie jeden Tag. »Das ist die Strafe dafür, dass du dich so unmanierlich verhalten hast«, teilte die jüngste Tochter der Familie Ilia mit. Sie war ein blond gelocktes Mädchen von zehn Jahren, dessen Nase immerzu lief und das alles Essbare in sich hineinstopfte, dessen es habhaft we r den konnte. »Was du nicht sagst«, entgegnete Ilia missgelaunt. Sie fühlte sich schon elend genug ohne von diesem Gör belehrt zu we r den. In dem kleinen Haus hatte sich schnell herumgesprochen, we s halb Ilia in so schlechter Verfassung war. »Naja, bei dir ist es ja egal. Mama sagt, dich hätte ohnehin niemand gewollt. « »Wenn du nicht aufhörst, so viel zu essen, dann will dich irgendwann auch keiner mehr«, entgegnete Ilia bissig. Das Mädchen streckte ihr die Zunge raus, samt der Brotreste, an denen es gerade kaute. »Ich würde mich nicht auf jemanden einlassen, von dem ich weiß, dass er bald stirbt. « Ilia zuckte unwillkürlich zusammen. »Dass er gestorben ist, ist womö g lich der einzige Grund dafür, dass du noch lebst. « Sie wusste, dass sie sich von dem Mädchen nicht provozieren lassen sollte. »Schade nur, dass er dich jetzt nicht mehr retten kann. « Ilia umklammerte unter ihrem Kleid die Kette, die sie unablässig trug, seit Nalig sie ihr g e schenkt hatte. Wie immer, wenn es ihr besonders schlecht ging, kehrte sie sich tief in sich selbst und ließ die Grausamkeiten des Lebens ei n fach nicht an sich heran. Da sie nicht mehr antwortete, verlor das blonde Mädchen bald den Spaß daran, sie zu verhöhnen und ve r schwand. Glücklich, endlich wieder alleine zu sein, lehnte Ilia sich auf ihrem Stuhl zurück. Dann, ganz plötzlich, hatte sie das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Außer ihr war niemand in der Küche und doch glaubte sie, jemand stehe unmittelbar neben ihr. Der G e danke ließ das Mädchen erschaudern. Gerne hätte sie das Haus verla s sen, um dem vermeintlichen Beobachter zu entkommen, doch der Sturm, der am Mittag losgebrochen war, tobte noch immer. Schwere Wolken verdunkelten die Sonne und unaufhörlich fiel der Regen. Dazu fegte ein Wind so heftig über das Dorf, dass es Fensterläden aus den Angeln und Bäume aus der Erde riss. So zog sich das Mädchen in das winzige Zimmer zurück, in dem es derzeit mit seinem Vater schlief. Mühsam stand Ilia auf und zog sich an der Tischplatte hoch, eine Hand auf den schmerzenden Bauch gelegt. Dann ging sie langsam in das Zimmer nebenan, wobei sie sich an der Wand abstützte. Das Gefühl, nicht alleine zu sein, konnte sie leider nicht abschütteln. Auch nicht, als sie sich in das behelfsmäßige Bett legte und die Decke über den Kopf zog. Es dauerte noch eine Weile, bis das unangenehme Kribbeln so plötzlich verschwand, wie es gekommen war. Zur Siche r heit wollte Ilia noch ein wenig unter der Decke liegen bleiben und schlief dabei ein. Erst spät in der Nacht erwachte sie. Im Haus war es dunkel und ihr Vater schnarchte neben ihr. Ein wenig Mondlicht fiel durchs Fenster. Scheinbar hatte sich der Sturm gelegt. Doch was hatte sie aufgeweckt? Ilia hatte das unbestimmte Gefühl, dass jemand sie gerufen hatte, vermutete allerdings, dass sie geträumt hatte. Sie wollte gerade wieder die Augen schließen, als ein violettes Licht durchs Fen s ter fiel, über ihre Decke und die Wände strich und dann verschwand. Mit angehaltenem Atem richtete sich das Mädchen auf. Das seltsame Licht musste das Haus umrundet haben. Vorsichtig stieg Ilia aus dem Bett und schlich zur Tür, bemüht, den Vater nicht zu wecken. Im Haus war es totenstill. Auf leisen Sohlen huschte Ilia durch die Woh n küche, wo das Feuer im Kamin gerade erlosch, zur Haustür. Bei
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