Die Insel der Krieger
Nacht verschlossen ihre Gastgeber die Tür, doch Ilia wusste, wo der Schlü s sel lag. Sie griff in den Suppentopf, der auf einem Brett über der Kochstelle stand und zog ihn hervor. Knirschend drehte sie den Schlüssel im Schloss und schob die Tür einen winzigen Spalt auf. Draußen war es dunkel. Außer dem spärlichen Mondlicht erhellte nichts die Gassen und Hinterhöfe des Dorfes. Kein violetter Schein und scheinbar keine Menschenseele. Dennoch lockte etwas das Mä d chen hinaus. Es zog die Tür hinter sich zu und trat, barfuß wie es war, hinaus auf die Straße. Nach den Nachtwächtern lauschend, die seit der Angriffe auf den Straßen patrouillierten, wanderte Ilia durch das schl a fende Dorf. Außer ein paar Ratten, die sich am Unrat der Dörfler gütlich taten, begegnete sie niemandem. Dann hörte sie etwas hinter sich. Leise Tritte, von mehr als zwei Füßen. Ilias Nackenhaare sträu b ten sich, als ihr bewusst wurde, dass jemand ihr folgte und sie drängte sich in den Schatten einer Hauswand. Ihre Verfolger hatten sie jedoch längst entdeckt. »Du musst Ilia sein«, bemerkte eine Frauenstimme mit sanftem Ton. Das Mädchen erkannte zwei Gestalten. Eine war einde u tig menschlich, die andere war kleiner und in der Dunkelheit nur schwer auszumachen. »Ja«, bestätigte Ilia mit leiser Stimme. »Wer will das wissen? « Die Gestalten traten näher. »Mein Name ist Stella. Das hier ist Aila. « Ilia erkannte eine junge Frau mit langen schwarzen Ha a ren in einem blauen Kleid. Die kleinere Gestalt neben ihr war die einer enormen Katze. Neugierig trat das Mädchen aus dem Schatten und kam ein Stück näher. »Und wer seid ihr? « Ilia konnte die Augen nicht von der großen Katze lassen. »Wir kommen von einer Insel weit dra u ßen auf dem See. « »Auf dem See«, wiederholte sie entgeistert. »Ja. « »Und was wollt ihr von mir? « Die junge Frau lächelte und irgendwie hatte Ilia das Gefühl, ihr vertrauen zu können.
Nalig ließ sich auf seinem Weg aus dem Wald Zeit, um das, was Stella ihm erzählt hatte, noch einmal zu überdenken. Neben all den merkwürdigen Neuigkeiten beunruhigte ihn zudem, dass offenbar häufig Krieger der Insel starben oder schwer verletzt wurden, obgleich die meisten in ruhigeren Zeiten über ihr Königreich gewacht hatten. Neben der mysteriösen Kugara, die scheinbar schweren Schaden im Kampf genommen hatte und Jiro, dessen Gefährte gestorben war, lebte nur noch Hato als ausgedienter Krieger auf der Insel. Was war mit all den anderen geschehen? Nalig war beim Tempel angelangt und wandte sich nach rechts, um zu Miras Hütte zu gehen. Doch kaum war er in Sichtweite des Haupteingangs, rannte Arkas auf ihn zu. Er wirkte äußerst aufgeregt. »Kaya sucht dich«, rief er schon von Weitem. »Sie wartet in ihrem Zimmer auf dich. Sie ist verdammt wütend. « Nalig lief Arkas entgegen. »Wütend? Etwa auf mich? « »Das will ich mal nicht für dich hoffen. « »Und weshalb will sie mich sehen? « »Das hat sie nicht gesagt. « Ein mulmiges Gefühl machte sich in Nalig breit. Doch er war sich keinerlei Schuld bewusst. Er hatte nichts Verbotenes getan und hätte Kaya bemerkt, dass er ihr durch den Wald nachgeschlichen war, dann hätte sie ihn sofort zur Rede gestellt. Nalig und Arkas gingen in den Tempel. Als Nalig auf die Treppe trat, die ihn zum Gang zu Kayas Zimmer führen würde, blieb Arkas stehen. »Ich komme nicht mit. Kaya ist wirklich beängstigend, wenn sie wütend ist. « »Na schön. Dann sehen wir uns morgen früh. « »Hoffentlich«, murmelte Arkas im Gehen und trug damit nicht gerade dazu bei, dass Nalig sich besser fühlte. Kaya stand hinter dem Schreibtisch als er ihr Zimmer betrat. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie Nalig entdeckte. »Du«, zischte sie und ihr Blick wurde zu Eis. Zögernd trat der Junge ein. »Du«, wiederholte Kaya noch einmal und es schien, als sinke die Te m peratur im Raum augenblicklich unter den Gefrierpunkt. Hinter dem Jungen fiel die Tür zu. »Was… « , setzte Nalig an, doch Kaya schnitt ihm das Wort ab. »Sei still«, schrie sie. Karten und Papiere flogen in einem Wind unerklärlicher Herkunft durch den Raum. Kartax sprang von seiner Liege auf und stieß besänftigend gegen Kayas Hand. Zum ersten Mal, seit Nalig die Göttin kannte, spürte er deutlich, wie groß ihre Macht war. »Wie konntest du nur? « , zürnte sie und eine unsichtb a re Kraft warf Nalig gegen die geschlossene Tür und hielt ihn dort fest. »Wie konnte ich nur was? « ,
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