Die Insel der Krieger
Sinn. Dass du eine Frau bist, macht dich doch nicht zu einem schlechteren Krieger. « Stella hob die Brauen und erlangte für einen kurzen Augenblick ihre frühere Kälte zurück. »Soweit ich mich erinn e re, hast du dich in unserer ersten Stunde geweigert, gegen mich zu kämpfen, weil ich ein Mädchen bin. Warum hättest du das tun sollen, wenn du Mädchen nicht für schwach und hilflos hältst? « »Und soweit ich mich erinnere, habe ich kaum einen Augenblick später im Dreck gelegen«, entgegnete Nalig und grinste. »Außerdem ist Kaya selbst eine Frau. « »Vielleicht ist genau das das Problem«, mutmaßte Stella. »Aber Lina und Mira ist sie immer mit Respekt begegnet. « »Lina und Mira sind auch keine Krieger, sondern kümmern sich um die Dinge, die Frauen tun sollten: Küchenarbeit und Verletzte versorgen. « »Aber ich dachte, Mira sei einmal eine Kriegerin gewesen«, wunderte sich Nalig. »Nein. Sie ist Jiros Frau und kam damals mit ihm auf die Insel. « »Was? « Nalig blieb vor Staunen der Mund offen stehen. »Aber ich habe Mira und Jiro nie zusammen gesehen. Mira verlässt ihre Hütte so gut wie nie und genauso ist es mit Jiro und seiner Schmiede. « »Das war nicht immer so. Jiro war Aros Vorgänger, bis sein Begleiter in einem Kampf auf dem Festland starb. Inzwischen kannst du dir sicher vo r stellen, wie schlimm dieser Verlust für einen Krieger ist. Den Gefäh r ten zu verlieren, mit dem man über so lange Zeit sein Leben, seine Gedanken und seine Gefühle geteilt hat, ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Jedenfalls war Jiro danach nicht mehr derselbe. De s halb hat sich Mira von ihm abgewandt. « »Und ich dachte, Mira wäre so verbittert, weil auch sie ein Begleittier verloren hat. « »Nein. Kaya ließ Mira auf der Insel bleiben, weil sie ihr von Nutzen war. « »Woher weißt du das eigentlich alles, wenn du selbst erst seit einigen Jahren hier bist? « »Ich weiß es von Lina. Sie ist lange genug hier, um über alles Bescheid zu wissen und teilt ihr Wissen gerne. « »Trotzdem finde ich Kayas Verhalten merkwürdig. Weißt du, wie es den anderen Krieg e rinnen erging? « »Vor mir gab es nur eine Kriegerin auf Kijerta. Sie kämpfte vor Juray für ihr Königreich, bis sie im Kampf so schwer verletzt wurde, dass sie sich nicht mehr vollständig erholt hat. Sie lebt noch heute auf dieser Insel. Sie hat viele der Porträts gemalt, die in der Halle der Krieger hängen. Als Juray sie ablöste, ist sie tief in Kijertas Wälder gezogen, weil sie Kayas Feindseligkeit nicht mehr ertrug. « »Ich wusste nicht, dass noch jemand auf Kijerta lebt. « Nalig wunderte sich, wie auf einer Insel so viele Geheimnisse überdauern konnten. »Damit bist du nicht alleine. Mein Porträt war das letzte, das Kugara gemalt hat. Ich habe sie dazu im Wald, wo sie lebt, besucht. Normalerweise lässt Kaya sie dazu in den Tempel kommen. Aber in meinem Fall war ihr das die Mühe wohl nicht wert. Greon und Arkas sind keine Krieger und Zalari und Thorix noch nicht lange. Deshalb ist keiner von ihnen bislang porträtiert worden und Kugara daher auch noch nicht bege g net. « Nalig blickte in den dunkler werdenden Wald. Es war schwer vorstellbar, dass irgendwo auf Kijerta eine invalide Kriegerin in Ei n samkeit lebte, nachdem sie jahrelang ihr Königreich verteidigt hatte und Kaya dies nicht nur zuließ, sondern es auch noch verschuldete. »Aber wenn du nicht anfängst, deine Anerkennung einzufordern, dann geht es dir vielleicht eines Tages genauso. Ein Platz an der Tafel und ein Zimmer im Tempel stehen dir zu. Kaya hat dich selbst nach Kijerta geholt. Da kann sie dir das nicht verweigern. « »Mag sein. Aber ich bin lieber alleine, als unter Menschen, die mich verachten. « »Ich glaube kaum, dass außer Kaya jemand etwas gegen dich hat. Abgesehen vie l leicht von Greon, der aus Prinzip nur sich selbst liebt. « Stella lächelte flüchtig. »Ich bin sehr gerne ungestört. Du kannst natürlich jederzeit vorbeikommen. Aber ich habe keine große Lust, im Tempel zu leben. Ich will meine Anwesenheit niemandem aufdrängen. « Einen Moment lang wollte Nalig ihr versichern, dass ihn ihre Anwesenheit im Tempel freuen würde. Dann fragte er sich, weshalb er so etwas sagen sollte und schwieg. »Du solltest zu Mira gehen und deinen Verband wec h seln lassen. Schließlich wollen wir sie nicht der einzigen Freude bera u ben, die sie noch hat. « Stella erhob sich und auch Nalig stand auf. »Sehen wir uns morgen Abend wieder? « , fragte
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