Die Insel der Krieger
tun, als deinen Groll gegen mich auszuleben. « Nalig wusste, dass er gerade die Person anbrüllte, in deren Hand es lag, ob er die Nacht im Tempel oder im Wald an einen Baum gekettet verbri n gen würde. Doch es war ihm gleich. Er hatte genug. Aila fauchte ihn an, während Stella nur die Arme vor der Brust verschränkte. »Diese Übung sollte dir dabei helfen, dich mit deinem Begleiter zu verständ i gen und zu lernen, ihn besser zu verstehen. Es ist exakt die Übung, die ich damals bewältigen musste, als ich neu auf der Insel war. Sie sollte deinen Einfallsreichtum auf die Probe stellen und dir zeigen, dass eine scheinbar aussichtslose Situation nicht unbedingt aussichtslos sein muss. Aber du hast wirklich in jeder Hinsicht versagt. « Sie trat gegen die Holzkiste und Nalig sah mit Entsetzen, wie sich die Schlüssel im Gras verteilten. »Weil du wie immer mit dem Kopf durch die Wand wolltest. « »Ja, mag sein, dass das meine Schwäche ist. Aber falls du es vergessen hast, ich war vor nicht allzu langer Zeit noch der Sohn eines Bauern. Ich musste nie einfallsreich sein, lesen oder mit Tieren spr e chen. Ich musste Schafe scheren, Ställe ausmisten und Zäune repari e ren. Und auch wenn du mich dafür verurteilst, habe ich dieses Leben gerne geführt. Weil ich gut darin war, ein Schafhirte zu sein. Aber ich habe es aufgegeben. Weil ich meinem Dorf helfen wollte. Ich weiß, dass in meinem Königreich etwas nicht stimmt und kann nichts dag e gen unternehmen. Statt mir zu helfen, legst du mir ständig Steine in den Weg. Jeden Tag muss ich mich mit denen messen, die viel mehr Erfahrung haben als ich und schon viel länger hier sind. Unterdessen halten mich alle Menschen, die mir wichtig waren, für tot. Versuch doch mal, mich wenigstens ein bisschen zu verstehen. « Nalig hoffte inständig, dass Stella genug Ehrgefühl besaß, nicht auf jemanden lo s zugehen, der sich nicht wehren konnte. »Ich soll versuchen, dich zu verstehen? « Das Mädchen wirkte plötzlich angsteinflößender als die Raubkatze an ihrer Seite. »Du bittest allen Ernstes mich um Verstän d nis? Seit du hier bist, wurde dir jeder Fehler verziehen. Alle haben dich hier mit offenen Armen empfangen. Kaya wollte mich von Anfang an nicht hier haben. Ich wurde nur ausgewählt, weil der vorige Krieger aus Syri von dieser Insel verbannt wurde. Aber statt auch nur ein Wort der Anerkennung dafür zu erhalten, dass ich nicht nur seine Aufgabe übernahm, sondern auch deine, wurde ich immer so behandelt, als hätte ich persönlich deinen Vorgänger getötet. Kaya wollte nicht ei n mal, dass ich eine Rüstung bekomme. Ausgerechnet sie, die seit Jah r hunderten an ihren Traditionen festhält. Ich musste mir meine Rü s tung selbst schmieden und dieser Dieb von einem Schmied besitzt doch tatsächlich die Unverschämtheit, meine Rüstung zur Vorlage für deine zu verwenden. Ebenso wenig hat es jemals irgend jemanden interessiert, dass Aila die Bande zu mir schon nach einer Woche g e knüpft hat. Aber du wirst von allen dafür bewundert, dass dir dein Begleiter so großes Vertrauen schenkt. Dabei weißt du nicht das G e ringste mit ihm anzufangen. Ich musste mich bei allem immer doppelt anstrengen und stand trotzdem stets im Schatten derer, die keine V o raussetzung für den Kampf mitbringen als die Tatsache, dass sie Ju n gen sind. Also wage es nicht, mir einen Vortrag darüber zu halten, wie sehr du deine Heimat vermisst und wie schwer du es hier hast. Und jetzt nimm endlich diese dämliche Kette ab. « Voll Erstaunen sah Nalig, wie Aila aufstand, einen der Schlüssel zwischen die Zähne nahm, ihn vor seine Füße fallen ließ und das alles, ohne dass Stella ihr einen vernehmbaren Befehl erteilt hatte.
Bilder im Kopf
Z u wütend auf Stella und sich selbst und zu aufgewühlt, um zum Tempel zurückzugehen, streifte Nalig durch den Wald. Hatte Stella ihn tatsächlich nicht demütigen wollen? Hätte er die Aufgabe wirklich alleine lösen können? Gab er sich etwa nicht genug Mühe? Oder hatte Stella lediglich erreichen wollen, dass er sich all diese Frage stellte und an sich zweifelte? In dem Versuch, seine Selbstachtung zurückzug e winnen, sagte Nalig sich, dass er keineswegs so nutzlos war, wie sie behauptete und wenn er an seine ersten Wochen auf der Insel dachte, so hatte er sich, wie er fand, seither erheblich gesteigert. Gerade als Nalig zum Tempel zurück wollte, entdeckte er etwas, das ihn aufme r ken ließ: Ihm war, als würde zwischen den Bäumen etwas
Weitere Kostenlose Bücher