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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine
Autoren: Barry Hughart
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sagst du? Auch als Kranich?«
    »Nein, er sprang einfach
aus dem Fenster in den Garten hinunter, bevor wir beide uns rühren konnten.
Ach, und da wir schon von Monstern reden, der Leichenfresser, der Ma Tuan Lin
den Kopf abgerissen hat, ist tot, falls du es noch nicht gehört hast, und ich
habe nicht die leiseste Ahnung, in welcher Beziehung er zu den übrigen
Ereignissen steht. Ich versuche, den Besitzern der anderen Käfige auf die Spur
zu kommen, denn wenn ich nicht herausfinden kann, warum irgendein Ungeheuer
scharf darauf sein könnte, bin ich am Ende einer Sackgasse .«
    Meister Li ließ sich
zurücksinken, während der Himmlische Meister sich vorbeugte und ein Bündel
Papiere aus einem lackierten Kasten nahm, der auf dem Tisch stand.
    »Ich kann dir nicht sagen,
warum die Käfige wertvoll sind, aber ich kann dir einiges Bedenkenswertes im
Hinblick auf Ungeheuer erzählen«, erklärte er. »Als ich ein junger Schüler war
- lange vor deiner Geburt, ob du es glaubst oder nicht -, hatte ich die übliche
Phase der Begeisterung für den Schamanismus. Den Schamanismus der chinesischen
Urbevölkerung meine ich natürlich; von Priestern praktizierte Glaubensrituale,
die bis zu einem gewissen Maß in unseren Glauben eingegangen sind, und ich habe
wiederholte, leider aber nur vage Hinweise auf eine kleine Gruppe von Schamanen
gefunden, die die höchsten von allen gewesen zu sein scheinen: Oberschamanen,
wenn du so willst, unnahbar und geheimnisvoll, anzurufen nur in allerhöchster
Not. Ich konnte es nie beweisen, Kao, aber ich kam zu der Überzeugung, daß sie
die an den Wänden des Yu abgebildeten geheimnisvollen verhüllten Gestalten sind .« »Tatsächlich?« Meister Li machte einen überaus
interessierten Eindruck. »Irgendwelche spezifischen Gründe dafür?« »Einer ist
spezifisch, einer nicht. Der nichtspezifische ist einfach die Tatsache, daß man
sie immer ehrfürchtig als Wesen beschrieben hat, die schweigsam waren und
rätselhafte Zeremonien mit rätselhaften Dingen durchführten, die das
menschliche Begriffsvermögen überstiegen - die allgemeine Atmosphäre des Yu,
wenn du so willst, und es scheint so, als wären der Yu und die Schamanen
derselben geschichtlichen Zeit zuzuordnen. Der spezifische Grund ist der, daß
es acht waren, wie die acht Yu-Figuren, und tatsächlich nannte man sie Pa
Neng Chih Shih .« »Die Acht Gelehrten Herren««,
murmelte Meister Li nachdenklich. »Klingt, als hätten sie sich neben ihren
Priester- und Zauberpflichten auch noch mit Alchimie, Technik oder Astronomie
beschäftigt .«
    Der Himmlische Meister
zuckte die Achseln. »Ich habe nie einen deutlichen Hinweis auf ihre
eigentlichen Aufgaben gefunden, und ich bezweifle, daß es irgend
jemandem gelungen ist. Dennoch gab es ein außerordentlich interessantes
Detail im Zusammenhang mit ihnen, das ich damals als primitiven Aberglauben
abtat, aber sonderbarerweise trotzdem in meinen Aufzeichnungen festhielt .«
    Der Heilige hob das Bündel
mit den Papieren auf und betrachtete sie mit einem nachdenklichen
Kopfschütteln. »Es ist lange her«, sagte er mit leiser Stimme. »Es war meinem
Gedächtnis, was von ihm noch übrig ist, vollkommen entfallen, doch plötzlich,
nachdem du zur Hortensien-Insel aufgebrochen warst, fiel es mir wieder ein, und
zumindest herrscht in meinen Aufzeichnungen Ordnung. Vor langer, langer Zeit
sollen die Acht Gelehrten Herren acht niedere Dämonengötter zu ihren Helfern
gemacht haben, Geschwister, die jedoch von unterschiedlicher Erscheinung waren.
Was sie von ihnen wollten, war längst vergessen, aber es blieb eine flüchtige
Beschreibung eines jeden erhalten. Sieh dir das an, dann verstehst du, warum
ich dir den Ursprung einer Halluzination zeigen wollte .«
    Er schob ein Stück Papier
über den Tisch. Die Zeichnung war alt und ziemlich verblichen, aber noch
deutlich erkennbar, und ich hielt den Atem an. Vor vielen Jahren, als Schüler,
hatte der Himmlische Meister einen kleinen alten Mann mit einer glühenden
Feuerkugel gemalt und darunter geschrieben: »Dritter Dämonengott: Pi-fang, tötet mit etwas, das einem winzigen Kometen gleicht .«
    Meister Li stieß einen
scharfen Pfiff aus.
    »Hebe dir dein Pfeifen
auf«, sagte der Himmlische Meister mit einem Lächeln und schob ein zweites
Papier über den Tisch. Diesmal entfuhr mir ein hörbarer Schrei, und ich wurde
dunkelrot, als mich der Himmlische Meister mit einem Augenzwinkern bedachte.
    Vor uns sahen wir ein
einbeiniges Wesen, das so etwas wie ein
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