Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
Vom Netzwerk:
steinernes Glockenspiel bearbeitete,
und darunter stand fein säuberlich geschrieben: »Fünfter Dämonengott, K'uei, der Meister des Tanzes. Tötet, indem er seine Opfer zwingt, sich zu Tode zu
tanzen .«
    Meister Li hatte leuchtende
Augen. Er nahm einen Tintenstock, einen Stein und einen Pinsel und machte sich
ans Werk, die Zeichnungen und die kurzen Bemerkungen darunter zu kopieren. Alle
diese acht Wesen waren insofern äußerst merkwürdig, als ein jedes von ihnen ein
Mörder war, dessen Fähigkeit zu töten auf eine einzige Methode beschränkt war,
die unmöglich geeignet war, einer großen Anzahl von Menschen das Leben zu
nehmen, wie etwa unsere moderne Armbrust oder die Explosionskraft der
Feuerdroge -anderseits aber mußte ich zugeben, daß gerade durch diese
Einschränkung und Eigenart der gewaltsame Tod eine schreckliche Wirklichkeit
bekam, wie das Erwürgtwerden mit bloßen Händen, verglichen mit einem Geschoß,
das zufällig und unerwartet auf dem Schlachtfeld trifft.
    »Ich sagte, daß es acht
waren und daß es sich um Geschwister handelte, doch später behauptete ein
unbekannter Schreiber in einer Anmerkung, die völlig unbedeutend war, es hätte
noch ein neuntes Kind, einen Jungen, gegeben«, sinnierte der Himmlische
Meister.
    »Könnte es sein, daß er ein
Gesicht wie ein angemalter Affe hatte ?« erkundigte
sich Meister Li gespannt.
    Der Himmlische Meister
lächelte. »Ausgeschlossen, Kao. Ich sagte, es war ein Junge, und genau das habe
ich auch gemeint. Er war menschlich, woraus sich ergibt, daß ein Elternteil
sterblich und einer göttlich war, und er soll von außerordentlicher Schönheit
gewesen sein .« Der heilige Mann zuckte die Schultern.
»Das ist der Grund, warum ich die Spur eines solchen neunten Kindes nie
weiterverfolgt habe. Es riecht nach tausend Märchenerzählungen .« »Wenn nicht gar einer Million«, murmelte Meister Li. Ich
betrachtete die Zeichnung, die er gerade anfertigte. Sie zeigte den vierten
Dämonengott, eine riesige und höchst eigenartige Schlange. Zum Teil war sie
schrecklich: zwei menschliche Köpfe mit Reißzähnen, der Körper glich einer
gewaltigen Würgeschlange - die jedoch zwei alberne kleine Hütchen trug und eine
Jacke, die ihr zu klein war. Irgendwie wirkte sie einsam und verloren, und der
Himmlische Meister hatte daruntergeschrieben: »Die Wei Schlange hat Ruhm
und Leid erfahren. Sie kann keinen Lärm ertragen, und wenn eine Kutsche
vorüberrattert, hebt sie ihre Köpfe und zischt .«
    Offensichtlich deutete der
Himmlische Meister meinen Gesichtsausdruck richtig, denn er sagte: »Ich weiß,
Ochse. Diesen Geschöpfen haftet etwas Trauriges und etwas Furchtbares an. Uns
erscheinen sie uralt, aber sie müssen zu den letzten gehört haben, die die
Ureinwohner unseres Landes verehrten, und die Götter - selbst die niederen
Gottheiten - einer sterbenden Kultur sind oft mitleiderregende Wesen. Du mußt
Meister Li einmal danach fragen .« Meister Li hatte
seine Arbeit beendet. Er faltete die Papiere säuberlich zusammen, steckte sie
in seinen Geldgürtel und forderte den Käfig zurück.
    »Ich habe dir alles
erzählt, was ich weiß. Hast du mir noch etwas zu sagen ?« erkundigte er sich.
    »Wenn es so wäre, habe ich
es vergessen«, erwiderte der Himmlische Meister. »Was hast du als nächstes vor ?« »Ich werde den Acht Gelehrten Herren zusammen mit Ochse
meine Aufwartung machen«, sagte er. »Das heißt, ich gehe zurück zur
Hortensien-Insel und zeige Ochse den Yu. Danach - nun ja, ich habe eine
Theorie, die es wert ist, auf die Probe gestellt zu werden. Ich werde dir
Bericht erstatten, wenn es etwas Lohnenswertes zu berichten gibt .«
    Die Anstrengung, die
Klarheit des Geistes aufrechtzuerhalten, hatte den Himmlischen Meister
erschöpft. Er brachte nur noch ein Zwinkern und ein Winken zustande, als wir
unter Verneigungen zur Tür zurückwichen und uns entfernten, aber Meister Li war
so
    energiegeladen wie schon
seit einem Jahr nicht mehr.
    »Ha !« rief er aus, als wir in den Sonnenschein hinaustraten. »Was für eine
erfreuliche Entwicklung! Ich nehme alles zurück, was ich über weiße Wale gesagt
habe, die sich als Elritzen entpuppen. Wie lautete meine ursprüngliche
Voraussage zu diesem Fall ?« Ich dachte darüber nach.
    »Die Fontäne schießt zu den
Sternen auf, und die Kielwelle erschüttert küstennahe Inseln, während er uns
entgegenschwimmt und heilige Meere mit der furchteinflößenden Unbeirrbarkeit
eines Eisberges durchpflügt .«
    »Etwas

Weitere Kostenlose Bücher