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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine
Autoren: Barry Hughart
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Grunzen erzittert,
ein Erdbeben sein Haus zum Einstürzen bringt und er feststellt, daß das Tal, in
dem sein Dorf liegt, eine große Ähnlichkeit mit einem gewaltigen Nabel hat.«
    Ich deutete auf eine Lücke
im Buschwerk vor uns. »Ehrwürdiger Meister, seht Euch das an«, rief ich. Ein
abscheulicher Kopf ragte aus dem Blattwerk. Er sah aus, als hätte ein Bildhauer
mit weichem Ton das Gesicht eines Mannes modelliert und dann seine Finger
grausam in das Werk gebohrt und es verzerrt.
    »Ist es nicht möglich, daß
die Künstler neben den Göttern auch schreckliche Kreaturen schufen ?« fragte ich. »Ich glaube nicht, daß irgend jemand dieses
Gesicht schön findet .« Der häßliche Kopf starrte mich
an. Dann öffnete sich der Mund, und eine wohlklingende Stimme ertönte: »Laß dir
sagen, mein Junge, daß Heerscharen von reizenden Damen diese Züge gepriesen
haben .«
    »Huch !« oder so ähnlich rief ich aus und
sprang mit einem Satz in das dornige Rosengestrüpp.
    »Ha !« sagte Meister Li, dem die Sache Spaß zu machen schien. Bevor ich den Verstand
zu verlieren glaubte, blitzte es in den Augen des entstellten Gesichts auf, das
Buschwerk teilte sich, und ein kräftig gebauter Mann in mittleren Jahren trat
auf den Weg. Mit einer anmutigen Bewegung, die wie ein übertriebenes
Schulterzuk-ken aussah, fügte er hinzu: »Das war allerdings, bevor der Gott der
Schönheit verrückt wurde vor Eifersucht, ich werde dir also deine
Unverschämtheit vergeben .«
    Ich sah zum ersten Mal ein
Lächeln, wie ich es noch oft erleben sollte, so warm und strahlend wie die
aufgehende Sonne, begleitet von einer Verbeugung, die so meisterhaft war, wie
sie kaum ein Schauspieler zustande bringt.
    »Meine Wenigkeit nennt sich
Yen Shih, dessen unbedeutende Beschäftigung darin besteht, Puppen auf einer
Bühne tanzen zu lassen, und es ist ihm eine Ehre, den legendären Meister Li,
den Ersten unter den Wahrheitssuchenden, sehen und begrüßen zu dürfen.«
    Dann wandte er sich an
mich.
    »Du bist sicher Nummer
Zehn, der Ochse. Ich hoffe, daß du dich nicht so unbehaglich fühlst, wie du
aussiehst .« Der ungewöhnliche Mann bedachte mich mit
einem Zwinkern, das mich uneingeschränkt aller Schuldgefühle enthob. »Kürzlich
erst habe ich zu meiner Tochter gesagt, daß sie sich die Kosten für eine
Beerdigung sparen könnte, wenn sie meine Leiche einfach zu den Statuen stellte,
da niemand den Unterschied bemerken würde .« Der Gott
der Schönheit war wirklich eifersüchtig gewesen. Was ich für die künstlerische
Darstellung einer gequälten Seele gehalten hatte, war in Wirklichkeit das
verheerende Werk der Pocken, und ich habe selten eine solche Verwüstung im
Gesicht eines Menschen gesehen. Es war ein Wunder, daß ihm die Sehkraft
erhalten geblieben war, und was seine Kunst betraf - wer hätte nicht schon von
Yen Shih, dem größten aller Puppenspieler gehört? Meister Lis Verbeugung geriet
nicht ganz so anmutig, aber sie war sehr gelungen.
    »Die Ehre ist ganz auf
meiner Seite, denn man erzählt sich, daß Yen Shih der für einen vorübergehenden
Urlaub vom Himmel herabgestiegene Puppenspieler der Götter ist, und auch Yen
Shihs Tochter hat den Neid der einfachen Sterblichen auf sich gezogen.« Darauf
ließ Meister Li den gekünstelten Ton der feierlichen Rede fallen und ging zu
lockerer Mundart über. »Ich habe deine Vorstellungen drei-oder viermal gesehen.
Wenn du noch um einen Deut besser würdest, würde man dich der Hexerei
bezichtigen, worin, wie ich gehört habe, deine Tochter unübertroffen sein soll .« An mich gewandt, erläuterte Meister Li mit einem Lachen:
»Nein, sie ist keine Hexe. Sie ist eine Schamanin, die sich mit den alten
Ritualen beschäftigt, und es wird nur Gutes über sie erzählt .« Damit richtete er das Wort wieder an den Puppenspieler. »Ochse war noch nie im
Yu. Ich habe ihn hergebracht, damit er sich einmal umsehen kann .«
    Das war eine geschickte
Art, um Informationen zu bekommen, ohne direkt danach zu fragen. Yen Shih
mochte zwar berühmt und geachtet sein, aber als Puppenspieler war seine
gesellschaftliche Stellung ganz tief unten. Er hatte nicht das Recht, den Fuß
auf ein derartiges Gelände wie die Hortensien-Insel zu setzen - noch weniger
Recht sogar als ich, wäre ich nicht in Meister Lis Begleitung gewesen -, aber
auf der anderen Seite mußte er sich nicht gedrängt fühlen, seine Anwesenheit zu
erklären. Er entschloß sich, es freiwillig zu tun.
    »Ich komme oftmals kurz vor
dem allmonatlichen
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