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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine
Autoren: Barry Hughart
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Opferfest hierher. Und zwar mit dem Vorsatz, etwas zu
stehlen«, bemerkte er sachlich. »Ich habe immer wieder darum gebeten, das Zeug
kaufen zu dürfen, wurde aber jedesmal abgewiesen. Es wäre mir eine Ehre, Euch
als Zeugen für mein Verbrechen zu haben .« »Die Ehre
ist ganz auf unserer Seite«, entgegnete Meister Li würdevoll.
    Zu dritt setzten wir also
unseren Weg fort. Meister Li hatte nicht das geringste dagegen, daß der Puppenspieler die Führung übernahm. Nach kurzer Zeit schob Yen
Shih das Blattwerk beiseite, duckte sich und verschwand in einem Felsentunnel.
Gleich hinter dem Höhleneingang stand ein Faß, in dem sich ein Bündel Fackeln
befand. Ich folgte Yen Shihs Beispiel und zündete eine davon an, dann stiegen
wir ins Innere des berühmten Yu. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Was
ich weiß, ist, daß ich enttäuscht war. Es war praktisch nichts zu sehen, nichts
als eine vom Wasser glattgewaschene Felsenhöhle, auf deren Boden sich in der
Mitte ein kleines rundes Loch befand und durch deren Decke ein Labyrinth
kleiner Gänge nach oben führte. Selbst der alte Altar war nichts weiter als
eine große Steinplatte, die seit Tausenden von Jahren das Feuer geschwärzt
hatte, und ich muß zugeben, daß mich die Spuren der modernen Zeit mehr
interessierten als die aus grauer Vorzeit. Es waren dies eine Anzahl von
Körben, die die Zeremoniengegenstände für die nächsten Mondfeiern enthielten,
da der Yu seit alters diesem Zwecke diente. Yen Shih trat an einen der Körbe ,hob den Deckel an und blickte lächelnd hinein.
    »Welcher Dieb könnte da
widerstehen ?« fragte er. Ich starrte den Inhalt
ungläubig an. »Ton ?« fragte ich. »Ein ganz besonderer
Ton«, erklärte der Puppenspieler. »Er stammt vom Ufer eines Flusses in der Nähe
von Kanton und wird, mit Räucherwerk vermischt, zu duftenden Opfertierchen
geformt. Ich habe mich erfolglos bemüht, ihn zu kaufen, weil es die ideale
Modelliermasse für die Puppen ist, denen ich schließlich eine dauerhafte
Gestalt gebe .«
    Staunend sah ich zu, wie er
ein Stück Ton mit flinken Fingern zur Kugel knetete. Ein fabelhaftes komisches,
lachendes Gesicht entstand, eine fröhliche Frau, die sich plötzlich, mit einer
flüchtigen Bewegung der Finger, in das leidvolle Antlitz eines weinenden alten
Mannes verwandelte.
    »Ich brauche nicht viel
davon, aber es ist ein zerbrechliches Material, und ich muß jedes Jahr ein
bißchen mehr davon stehlen«, sagte Yen Shih mit einem Achselzucken. Dann wickelte
er einen Klumpen Ton sorgfältig in ein Stück Öltuch, das er an der Taille unter
seinem Gewand befestigte.
    »Ich will sehen, daß ich
eine Genehmigung für dich erwirken kann .« Mehr sagte
Meister Li nicht dazu. Dann wechselte er das Thema. »Ich möchte Ochse die Felsbilder zeigen. Einer unserer Freunde hat eine
interessante Theorie dazu, wen sie darstellen könnten, obwohl er nicht die
geringste Ahnung hat, was sie eigentlich bewirken sollen .«
    Wieder ging Yen Shih mit
seiner Fackel voraus, und ich muß aufrichtig sagen, daß ich auch dieses Mal
enttäuscht war. Das berühmte Relief befand sich in einem langgestreckten
Seitengang, der sich zu einem kleinen, den See überblickenden Loch verjüngte,
und im ersten Moment konnte ich überhaupt nichts sehen. Erst als Meister Li
mich aufforderte, meine Fackel dicht an die Felsenwand zu halten, wurden die
Bilder sichtbar, und selbst dann noch konnte ich nicht viel erkennen.
    Acht verhüllte Männer waren
immer wieder, offensichtlich in den verschiedenen Stadien einer Zeremonie,
abgebildet. Der Fels war mit der Zeit fast glattgeschliffen, so daß keine
Einzelheiten mehr zu erkennen waren. Jeder der Schamanen - sofern es solche
waren -schien einen Gegenstand zu tragen, doch davon war keine Spur mehr zu
erkennen. Soweit ich es beurteilen konnte, hätten sie alles mögliche tun
können, von der Getreideaussaat bis zur Trauungszeremonie, und die wenigen noch
vorhandenen Symbole über ihnen, in denen Meister Li Vögel irgendwelcher Art
erkannte, halfen uns auch nicht weiter.
    »Es ist ein Jammer, daß es
keine genaueren Aufzeichnungen gibt«, sagte Meister Li bedauernd. »Man sollte
meinen, es müßte weitere Abbildungen der acht Gestalten geben, aber soweit ich
weiß, sind bisher keine entdeckt worden .«
    Mir fiel auf, daß Yen Shih
reglos dastand und Meister Li unverwandt ins Gesicht blickte. Ich sah ihm an,
daß er verschiedene Punkte gegeneinander abwog, und schließlich kam er zu einem
Entschluß.
    »Ich war
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