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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine
Autoren: Barry Hughart
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nicht ganz
aufrichtig. Ich komme auch zur Insel, um noch etwas anderes mitzunehmen, und
ich glaube, es wäre interessant für Euch, einen Blick darauf zu werfen«, sagte
er, an Meister Li gewandt.
    Wir folgten dem
Puppenspieler in den Sonnenschein hinaus. Er wandte sich nach links und stieg
einen schmalen Pfad zur Spitze der Klippe hinauf, wo sich die Sammlung
astronomischer Instrumente befand, die dazu dienten, die vorausgesagten Sonnen-
und Mondfinsternisse im kaiserlichen Jahreskalender zu bestätigen.
»Unglaubliche Verschwendung«, sagte Yen Shih, indem er auf die riesige
Metallplatte deutete, auf der die Instrumente standen. »Das ist zum Teil
kostbare Bronze und zum Teil Drachennerv, das heißt eine Legierung aus einer
kleinen Menge Kupfer, der doppelten Menge Antimonit und einem hohen Anteil an
Zinn. Es kostet ein Vermögen, und ich brauche eine Menge davon, um die fast
unsichtbaren Drähte für meine Puppen herzustellen. Glücklicherweise könnte ich
das Zeug hier noch jahrhundertelang ausgraben .«
    Neben der Platte lag ein
länglicher, flacher Stein, und als Yen Shih ihn anhob, kam ein tiefes Loch zum
Vorschein, groß genug, daß ein Mensch hindurchschlüpfen konnte. Genau das tat
Yen Shih jetzt und nahm die Fackel, die er noch immer trug, mit sich. Bevor er
wieder ans Licht kletterte, ließ er die Fackel unten zurück, deren Schein eine
kleine Höhle erleuchtete.
    »Es ist nicht genug Platz
da unten für zwei, aber es könnte sein, daß ihr meine Drachennerv-Mine recht
interessant findet«, sagte er rätselhaft.
    Als erster stieg Meister Li
hinunter. Ich hörte einen überraschten, scharfen Ausruf, dann hob er fröhlich
die Stimme. »Yen Shih, alles, was ich besitze, gehört dir !«
    Wenige Minuten später ließ
er sich von mir aus der Höhle helfen, und dann stieg ich hinunter. Die Fackel
steckte in einem Felsspalt. Das erste, was ich sah, war die Mine des
Puppenspielers. Die Arbeiter hatten mit verschwenderischer Nachlässigkeit
Drachennerv vergossen, der sich in großen, hartgewordenen Pfützen gesammelt
hatte, und Yen Shih hatte sich seinen Teil fein säuberlich von den Rändern
weggeraspelt. Ich folgte der schimmernden Spur des Metalls und sah, daß sie zu
einer massiven Felsplatte führte. »Laus mich der Steinerne Affe !« japste ich, und gleich darauf hörte ich Meister Li über
mir lachen.
    Yen Shih hatte uns nicht
nur zu seiner privaten Mine, sondern auch zu seiner ureigensten Galerie geführt.
»Acht! Ich habe alle acht gefunden !« hatte Ma Tuan Lin geschrieben, bevor ihm
ein Dämon ein Loch in den Rücken gebrannt hatte, und hier hatten wir, in Stein
gehauen, die acht Schamanen aus dreitausendjähriger Vergangenheit vor uns, und
die Einzelheiten waren nicht von der Zeit verwischt. Sie trugen acht Käfige,
und alle glichen dem bei Meister Li versteckten aufs Haar.
    6
    Kurze Zeit später saßen wir
auf der Bronzeplattform neben den astronomischen Instrumenten und tranken Wein
- das heißt, Meister Li und Yen Shih leerten den Weinschlauch, während ich
Pflaumensaft mit Essig aus meinem eigenen Schlauch trank. Die Innereien des
Puppenspielers waren wohl aus purem Kupfer, denn der Alkohol zeigte bei ihm
nicht die geringste Wirkung. Yen Shih verstand sich glänzend mit Meister Li,
der in überschwenglicher Stimmung war.
    »Yen Shih, mein Freund,
wenn du zu dieser Insel hier kommst, wirst du deine Anwesenheit gewiß kaum
herausposaunen«, sagte Meister Li. »Wäre es möglich, daß du zufällig in der
vorletzten Nacht um die Doppelstunde der Schafe herum hier warst ?« »Nein, da lag ich zu Hause in tiefem Schlaf«, entgegnete
Yen Shih.
    Meister Li wies mit der
Hand zu Ma Tuan Lins Pavillon hinüber. »Merkwürdige Dinge haben sich dort
drüben ereignet«, fuhr er fort. »Du hast sicher von dem Leichenfresser gehört,
durch dessen Erscheinen Teufelshand der Rekordversuch mißlungen ist? Nun,
wenige Stunden zuvor, um die Doppelstunde der Schafe herum, war dieser selbe
Ch'ih mei ohne Frage bei dem Pavillon, auf den ich jetzt zeige .«
    Der Puppenspieler folgte
Meister Lis ausgestrecktem Finger, dann wanderte sein Blick zum nördlichen See,
dessen Wellen hinter dem Pavillon ans Ufer schwappten und weiter zum anderen
Ufer über Peking hinweg zum Gemüsemarkt, wo der Ch'ih mei tot umgefallen war.
Die furchtbaren Pockennarben im Gesicht des Puppenspielers ließen kein
Mienenspiel zu, doch seine rechte Augenbraue hob sich höchst beredt zur
Schädeldecke.
    »Aber wie...«
    »Ah! Du hast es erfaßt.
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