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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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ging lange Zeit abwärts,
bis der Weg schließlich eben wurde. Nervös hob ich die Fackel, um die
Felsendecke über uns näher in Augenschein zu nehmen. Dieser Tunnel war nicht
erst vor kurzem gegraben worden. Er war alt, vielleicht ebenso alt wie der Yu,
und ich konnte an der Decke schwarze Flecken erkennen, die sich wie riesige
Spinnen bewegten. Ein bedrohliches Blopp-blopp-blopp deutete auf
tropfendes Wasser hin. Wir befanden uns jetzt unter dem See, und ich schob den
Gedanken an einbrechendes Gestein von mir. Unsere Schritte waren das einzige
Geräusch hier unten. »Halt mal hoch«, sagte Meister Li.
    Er hatte sich zur Seite
gewandt und schwenkte die Fackel zu einer Felsennische hin, die sich nach
Norden öffnete. Sie war ungefähr dreißig Fuß breit und zehn Fuß tief, und der
Boden war mit Gesteinsbrocken übersät. Die Felsenoberfläche war augenscheinlich
vor nicht allzu langer Zeit behauen worden, und Meister Li fand Spuren alter
Meißelarbeiten auf einigen der Trümmerstücke am Boden.
    »Sieht fast so aus, als
hätte jemand ein altes Relief entdeckt und in Stücke geschlagen, bevor ein
anderer es sehen konnte«, sagte er. »Ochse, erinnerst du dich an den
Reibedruck, den wir in Mas Pavillon gefunden haben? Ich frage mich, ob er hier
gemacht wurde. Immerhin hat man durch diesen Tunnel Erde transportiert und in
seinem Garten abgeladen, und ich bezweifle, daß er nichts davon gewußt hat .«
    Da es nichts weiter zu
sehen gab, setzten wir unseren Weg fort. Ich war sehr nervös. Wenn ich mich
nicht irrte, war hier unten die gesamte Sippschaft des Ch'ih mei versammelt,
und der Schein unserer Fackeln verhieß ein bevorstehendes Mahl. Ich packte die
Hacke wie eine Streitaxt, aber nichts geschah. Der Weg begann wieder
anzusteigen, und in der Ferne vor uns schimmerte Licht. Schließlich erreichten
wir eine Treppe, die zu einer Felsenplattform hinaufführte. Dort sahen wir uns einer
großen zweiflügeligen Tür in einem massiven Holzrahmen gegenüber. Durch den
Mittelspalt der Türen, die ein klein wenig offenstanden, drang der gedämpfte
    Lichtschein in den Tunnel.
Meister Li gab uns ein Zeichen, die Fak-keln zu löschen.
    »Ich glaube, wir befinden
uns jetzt zu ebener Erde«, flüsterte er, »und außerdem im Innern des künstlich
angelegten Kohlenhügels, was uns die Erklärung dafür liefert, warum die Erde
weggeschafft und zur Insel gebracht wurde, wo niemand sich den Kopf darüber
zerbrechen würde. Das hier ist eine Höhle, die erst vor kurzem heimlich
gegraben wurde, und zwar genau unter den Palästen der reichsten Mandarine .«
    Leise schlüpften wir durch
die Türe in einen großen Lagerraum, in dem Kisten bis fast an die Decke
übereinander gestapelt waren. Auf der gegenüberliegenden Seite war eine
Flügeltür, und das Licht, das den Raum erhellte, drang durch ihre seitlichen
Schlitze. Es war jedoch kein künstliches Licht, sondern Sonnenschein, und als
wir durch den breitesten Spalt lugten, blickten wir auf Wasser. »Ha !« flüsterte Meister Li. »So ist das. Das hier ist der
Umschlageplatz für Schmuggler, und es müssen Mandarine von höchstem Rang darin
verwickelt sein. Vor uns liegt der Kanal, der unterhalb des Kohlenhügels
verläuft. Ihre Dschunken passieren den Zollhafen von Ta Kao Tien, vorzugsweise
zu nächtlicher Stunde, und dann setzen sie sich langsam, Meter für Meter, zur
Exportschleuse von Shou Huang Tien in Bewegung. Auf halbem Wege kommen sie hier
an dieser Stelle vorüber, wo sie von einer gutgeschulten Mannschaft erwartet
werden: Die Tore werden geöffnet, die Ladung wird ausgetauscht, und dann setzt
die Dschunke ohne Aufenthalt ihren Weg zur Exportschleuse fort, wo die Ladung
automatisch abgestempelt wird, weil sie gerade erst überprüft wurde.« Er hielt
inne und fügte dann hinzu: »Sie müssen damit eine doppelte Absicht verfolgen:
Sie bezahlen kaum nennenswerte Einfuhrsteuern für eine Ware, die praktisch
wertlos ist, und tauschen sie dann gegen Güter aus, die teuer und
Ausfuhrbeschränkungen unterworfen sind, das heißt, sie betreiben verbotenen
Export. Wenn es sich dabei um Waren handelt, die bei den reichen Barbaren
begehrt sind, müssen sie einen unvorstellbaren Gewinn damit machen .«
    Er kehrte der Tür den
Rücken, und wir schlichen uns auf Zehenspitzen zur anderen Seite des Raumes, wo
sich eine andere große

Tür befand, die nur einen
einzigen Flügel hatte. Als wir näher herankamen, hörten wir Stimmen, und
Meister Li drückte die Tür einen Spalt weit auf. Wir

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