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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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alchimistisches Labor mit einer Unmenge an
Flaschen und Gläsern, die neben Brennern, Mörsern und rätselhaften Instrumenten
auf Arbeitstischen angeordnet waren. Fünf Menschen befanden sich in diesem
Saal. Einer von ihnen war die beherrschende Gestalt im Raum, auch wenn er am
leisesten sprach. Er war in kostbare Seide gekleidet, und mit den Ringen und
übrigen Schmuckstücken, die er trug, hätte er ohne weiteres den einen oder
anderen König freikaufen können. Er war ungeheuer fett und bewegte sich mit der
tänzerischen Grazie, die manchen dicken Menschen eigen ist - zum Teil
vermutlich in der Phantasie des Betrachters, weil man Schwerfälligkeit geradezu
erwartet. Die drei Nächststehenden waren dem Dik-ken offensichtlich untergeordnet.
Ich habe selten unangenehmere Menschen gesehen als diese drei, die mir der Welt
der Tiere näher schienen als der menschlichen. Ihr Anführer war ein Kerl, der
aussah wie ein Wildschwein, und so würde ich ihn von jetzt an auch nennen. Der
zweite und der dritte hätten Brüder sein können, hinterhältige, finstere,
gemeine Brüder, denen ich die Namen Hyäne und Schakal verpaßte.
    Dem vierten stand der
Buchhalter ins Gesicht geschrieben. Er kniete mit hinter dem Rücken gefesselten
Händen auf dem Boden, ein Pinsel steckte in seinem Haarknoten, und sein
ärmlicher Kittel war mit Tinte befleckt. Er zitterte vor Angst, als der Dicke
das Wort an ihn richtete.
    »Wie ich von meinen
Informanten erfahren habe, hast du in einem Weinlokal verlauten lassen, daß ich
bald eine Reise in wichtiger Angelegenheit antrete«, sagte er milde, und ich
stellte fest, daß er ein wenig lispelte, so daß seine Stimme einen katzenhaft
schnurrenden Ton bekam.
    »Ich habe nichts über Ziel
und Zweck gesagt !« jammerte der Buchhalter. »Euer
Exzellenz, ich schwöre, daß ich - « »Aber mein Lieber, ich zweifle keine
Sekunde daran«, schnurrte der Dicke. »Warum solltest du dir die Mühe machen,
etwas zu sagen, was du auch zeigen konntest ?«
    »Zeigen? Aber ich habe
nichts gezeigt !« heulte der Buchhalter.
    Der Dicke zog eine
juwelenbesetzte Pillendose aus der Tasche und klappte sie auf. Dann nahm er
etwas heraus, das ich aus der Entfernung nicht erkennen konnte und hielt es
prüfend hoch. »Nein? Wie eigenartig, daß meine Mittelsmänner das hier von
deinem Tisch im Weinlokal mitgenommen haben, wo du es törichterweise
liegengelassen hattest«, bemerkte der Dicke. Wildschwein, Hyäne und Schakal
beugten sich über den Gegenstand und leckten sich die Lippen; ich muß sagen,
daß ich zur Fütterungsstunde in der Kaiserlichen Tigergrube angenehmere
Anblicke gesehen habe.
    »Euer Exzellenz, ich
schwöre, ich hatte vergessen, daß ich etwas Derartiges bei mir hatte !« heulte der Buchhalter. »Es war ein Versehen, und ich habe
zuverlässig und hart gearbeitet. Ich bitte Euch inständig um die Gelegenheit,
diesen Augenblick törichter Vergeßlichkeit wiedergutzumachen !«
    »Diese Gelegenheit sollst
du bekommen, und es wird mehr als nur ein Augenblick sein«, erklärte der
Dickbauch mit seiner schnurrenden, katzenweichen Stimme. »Ich gewähre dir
Wiedergutmachung bis in alle Ewigkeit, es sei denn, die Hölle hätte
vorrangigere Angelegenheiten mit dir zu regeln .«
    Damit schleuderte er dem
Buchhalter den Gegenstand, den er aus der Pillendose genommen hatte, ins
Gesicht, machte auf dem Absatz kehrt und entfernte sich mit würdevollen
Schritten zu einer letzten Tür im Hintergrund des Labors, durch die er
verschwand. In dem Augenblick, als er sich abgewandt hatte, waren die übrigen
drei nach vorne gestürmt, und das Geräusch, mit dem sich die Tür hinter dem
Eunuchen schloß, ging in entsetzlichem Gebrüll unter. Ich will hier nicht in
die Einzelheiten gehen. Die drei waren genauso bestialisch, wie sie aussahen -
einschließlich ihres menschlichen Erfindungsreichtums -, und sie ließen sich
Zeit damit, den Buchhalter umzubringen. Es war entsetzlich. Am Ende hatten sie
ein blutiges Bündel vor sich auf dem Boden, und sie rissen ihre Witze darüber,
während sie zu einer Abstellkammer gingen, um Lappen zum Aufwischen zu holen.
    Bevor ich wußte, was
geschah, war Meister Li durch die Tür geschlüpft. Auf Zehenspitzen ging er über
den Ort des blutigen Geschehens, um keine Spuren zu hinterlassen, stocherte in
den grausigen Überresten des verblichenen Buchhalters herum und richtete sich
schließlich mit einem Fund, der ihm einen befriedigten Seufzer entlockte, auf.
Auf Zehenspitzen kehrte er zu uns

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