Die Insel der Mandarine
sahen ein alchimistisches
Labor mit einer Unmenge an Flaschen und Gläsern, die neben Brennern, Mörsern
und rätselhaften Instrumenten auf Arbeitstischen angeordnet waren. Fünf
Menschen befanden sich in diesem Saal. Einer von ihnen war die beherrschende
Gestalt im Raum, auch wenn er am leisesten sprach. Er war in kostbare Seide
gekleidet, und mit den Ringen und übrigen Schmuckstücken, die er trug, hätte er
ohne weiteres den einen oder anderen König freikaufen können. Er war ungeheuer
fett und bewegte sich mit der tänzerischen Grazie, die manchen dicken Menschen
eigen ist - zum Teil vermutlich in der Phantasie des Betrachters, weil man
Schwerfälligkeit geradezu erwartet. Die drei Nächststehenden waren dem Dik-ken
offensichtlich untergeordnet. Ich habe selten unangenehmere Menschen gesehen
als diese drei, die mir der Welt der Tiere näher schienen als der menschlichen.
Ihr Anführer war ein Kerl, der aussah wie ein Wildschwein, und so würde ich ihn
von jetzt an auch nennen. Der zweite und der dritte hätten Brüder sein können,
hinterhältige, finstere, gemeine Brüder, denen ich die Namen Hyäne und Schakal
verpaßte.
Dem vierten stand der
Buchhalter ins Gesicht geschrieben. Er kniete mit hinter dem Rücken gefesselten
Händen auf dem Boden, ein Pinsel steckte in seinem Haarknoten, und sein
ärmlicher Kittel war mit Tinte befleckt. Er zitterte vor Angst, als der Dicke
das Wort an ihn richtete.
»Wie ich von meinen
Informanten erfahren habe, hast du in einem Weinlokal verlauten lassen, daß ich
bald eine Reise in wichtiger Angelegenheit antrete«, sagte er milde, und ich stellte
fest, daß er ein wenig lispelte, so daß seine Stimme einen katzenhaft
schnurrenden Ton bekam.
»Ich habe nichts über Ziel
und Zweck gesagt !« jammerte der Buchhalter. »Euer
Exzellenz, ich schwöre, daß ich - « »Aber mein Lieber, ich zweifle keine Sekunde
daran«, schnurrte der Dicke. »Warum solltest du dir die Mühe machen, etwas zu
sagen, was du auch zeigen konntest ?«
»Zeigen? Aber ich habe
nichts gezeigt !« heulte der Buchhalter.
Lichtschein in den Tunnel.
Meister Li gab uns ein Zeichen, die Fak-keln zu löschen.
»Ich glaube, wir befinden
uns jetzt zu ebener Erde«, flüsterte er, »und außerdem im Innern des künstlich
angelegten Kohlenhügels, was uns die Erklärung dafür liefert, warum die Erde
weggeschafft und zur Insel gebracht wurde, wo niemand sich den Kopf darüber
zerbrechen würde. Das hier ist eine Höhle, die erst vor kurzem heimlich
gegraben wurde, und zwar genau unter den Palästen der reichsten Mandarine .«
Leise schlüpften wir durch
die Türe in einen großen Lagerraum, in dem Kisten bis fast an die Decke übereinander
gestapelt waren. Auf der gegenüberliegenden Seite war eine Flügeltür, und das
Licht, das den Raum erhellte, drang durch ihre seitlichen Schlitze. Es war
jedoch kein künstliches Licht, sondern Sonnenschein, und als wir durch den
breitesten Spalt lugten, blickten wir auf Wasser. »Ha !« flüsterte Meister Li. »So ist das. Das hier ist der Umschlageplatz für
Schmuggler, und es müssen Mandarine von höchstem Rang darin verwickelt sein.
Vor uns liegt der Kanal, der unterhalb des Kohlenhügels verläuft. Ihre Dschunken
passieren den Zollhafen von Ta Kao Tien, vorzugsweise zu nächtlicher Stunde,
und dann setzen sie sich langsam, Meter für Meter, zur Exportschleuse von Shou
Huang Tien in Bewegung. Auf halbem Wege kommen sie hier an dieser Stelle
vorüber, wo sie von einer gutgeschulten Mannschaft erwartet werden: Die Tore
werden geöffnet, die Ladung wird ausgetauscht, und dann setzt die Dschunke ohne
Aufenthalt ihren Weg zur Exportschleuse fort, wo die Ladung automatisch
abgestempelt wird, weil sie gerade erst überprüft wurde.« Er hielt inne und
fügte dann hinzu: »Sie müssen damit eine doppelte Absicht verfolgen: Sie
bezahlen kaum nennenswerte Einfuhrsteuern für eine Ware, die praktisch wertlos
ist, und tauschen sie dann gegen Güter aus, die teuer und Ausfuhrbeschränkungen
unterworfen sind, das heißt, sie betreiben verbotenen Export. Wenn es sich
dabei um Waren handelt, die bei den reichen Barbaren begehrt sind, müssen sie
einen unvorstellbaren Gewinn damit machen .«
Er kehrte der Tür den
Rücken, und wir schlichen uns auf Zehenspitzen zur anderen Seite des Raumes, wo
sich eine andere große Tür befand, die nur einen einzigen Flügel hatte. Als wir
näher herankamen, hörten wir Stimmen, und Meister Li drückte die Tür einen
Spalt weit auf. Wir sahen ein
Weitere Kostenlose Bücher