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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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zurück, worauf wir leise die Tür schlössen
und uns wieder in den Verladeraum begaben. Meister Li wies uns im Flüsterton
an, eine offene Kiste zu suchen. Wir trennten uns und schritten die Reihen der
überein-andergestapelten Lagerbehälter ab. Auf meiner Seite war es vergeblich.
Jede Kiste war numeriert, zugenagelt und mit Wachs versiegelt, das mit sehr
echt aussehenden Zollstempeln versehen war. Das heißt, das Wachs war an manchen
Stellen geschmolzen, an anderen über den Stempelabdruck gequollen, und hin und
wieder saß der Stempel auch auf einem vollkommen unpassenden Fleck: einfach
echt.
    Meister Li stieß pausenlos
unterdrückte Flüche aus, und als ich den Weg des Puppenspielers kreuzte,
verdrehte er die Augen gen Himmel und zuckte die Achseln. Nicht eine Kiste war
zu öffnen, ohne daß wir unsere Visitenkarten in Form von erbrochenen Siegeln
hinterlassen hätten, und schließlich mußten wir uns geschlagen geben.
    Rauhes Gelächter näherte
sich. Die Tür ging auf. Meister Li zuckte zusammen und deutete zum Gang
hinüber, worauf Yen Shih und ich dem weisen Alten, hinter Kistenstapel geduckt
und mucksmäuschenstill, zum Tunneleingang folgten. Wildschwein, Hyäne und
Schakal waren zu sehr damit beschäftigt, sich über das Gejammer des kleinen
Buchhalters zu amüsieren, um uns zu bemerken. Vermutlich hätten wir, jeder mit
einer Kiste beladen, hinausmarschieren können, aber Meister Li wollte nicht
riskieren, daß ein aufmerksamer Kontrolleur Alarm schlagen würde, und so winkte
er uns, weiterzugehen. Wir gelangten ohne Schwierigkeiten in den Tunnel zurück.
Ich spürte, daß Yen Shih im Begriff war, Fragen zu stellen, darum legte ich die
Hand auf seinen Arm und gab ihm mit einem Fingerdruck nein-nein-nein zu
verstehen. Im letzten Lichtschein, bevor die Dunkelheit über uns
zusammengeschlagen war, hatte ich gesehen, daß sich die Runzeln um seine Augen
zu konzentrischen Kreisen zusammenzogen, und das war für mich ein sicheres
Zeichen, daß der Meister Ruhe zum Nachdenken brauchte.
    Als wir tief genug in den
Tunnel vorgedrungen waren und ich es leid war, mich blind voranzutasten,
zündete ich eine Fackel an, ohne daß Meister Li Einspruch erhoben hätte.
Vielmehr nahm er sie mir, als wir die Felsennische erreichten, aus der Hand und
betrachtete erneut eingehend und mit unterdrückten Flüchen sowohl den Fels als
auch das zertrümmerte Gestein am Boden. Schließlich fuhr er aus seiner
Versunkenheit auf und wandte sich an den Puppenspieler.
    »Nun, Yen Shih, ich habe
dich in etwas hineingezogen, womit wir alle nicht gerechnet haben«, sagte er.
»Aber wenigstens bist du nicht entdeckt worden .«
    Yen Shihs Züge leuchteten
in seinem herrlichen, überraschenden Lächeln auf. »Mir hat es Spaß gemacht«,
entgegnete er unumwunden. »Könnt Ihr sie verhaften lassen ?«
    »Das möchte ich eher
bezweifeln«, sagte Meister Li. »Der fette Kerl, der den Mordbefehl gab, ist der
zweitmächtigste Eunuch im Reich. Er wird allgemein als Li die Katze bezeichnet,
und er hat ein Ministerialamt inne. Ich würde einen vom Sohn des Himmels
unterzeichneten Haftbefehl benötigen, und bis ich den in Händen hielte, wäre
die Schmuggelware verschwunden, die Höhle wäre ein Heim für unglückliche
Waisenkinder, und die alte Mutter des Buchhalters würde jeden Eid darauf
schwören, daß ihr geliebter Junge im Alter von vier Jahren an Typhus gestorben
ist.« Er griff nach dem Weinschlauch und stellte fest, daß er leer war. »Ich
muß sie des Schmuggels bezichtigen, nicht des Mordes, und das wird nicht
einfach sein. Deswegen.« Meister Li zog einen winzigen Gegenstand hervor und
hielt ihn ins Fackellicht. »Ein Teeblatt ?« rief Yen
Shih.
    »Allerdings, und noch dazu
ein miserables Teeblatt«, bestätigte Meister Li. »Guter Tee unterliegt
natürlich den Ausfuhrbeschränkungen, und darum kann mit dem Schmuggel in die
Barbarenländer ein Vermögen verdient werden, aber dieses Zeug hier kann man
tonnenweise aus dem Land schaffen. Es ist ta-cha, die billigste aller
Teesorten, und darüber hinaus verdorben, vermutlich durch eine Überschwemmung.
Ein solcher Tee ist nicht mehr wert als zehn Käsch das Pfund, und doch ist es
dieses Blatt, das Li die Katze dem Buchhalter ins Gesicht geschleudert hat, und
offensichtlich war es von so großer Bedeutung, daß sein Besitz außerhalb der
Schmugglerhöhle den Buchhalter das Leben gekostet hat. Mach du dir einen Reim
darauf .«
    »Nein, danke«, erwiderte
Yen Shih. »Ich möchte Euch allerdings

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