Die Insel der Mandarine
um einen Gefallen bitten .«
»Wenn es in meiner Macht
steht, wird er Euch erfüllt«, erklärte Meister Li großzügig.
»Bedenkt, daß ich jetzt
auch ein Interesse an dieser Angelegenheit habe und so verfügt zu jeder Tages-
oder Nachtzeit über mich, wenn meine Hilfe notwendig wird .« Kleine Lichtpünktchen funkelten in den Tiefen von Yen Shihs Augen, sie tanzten
und leuchteten, und wieder strafte der Sonnenaufgang seines Lächelns sein
zerstörtes Gesicht Lügen. »Es wird einem manchmal langweilig«, bemerkte der
Puppenspieler.
Wieder auf der Insel
angelangt, ließen wir Yen Shih zurück, und ich ruderte zur Stadt hinüber.
Meister Li hatte sich einiges vorgenommen und wollte keine Zeit verlieren. Er
wies mich an, eine Sänfte zu mieten, und dann gingen wir von einer Amtsstube
zur nächsten, sammelten hier ein paar Informationen, schnappten da ein paar
Gerüchte auf, bis wir uns, lange nach Sonnenuntergang, wieder auf den Heimweg
machten. Ich kam schon fast um vor Hunger, Meister Li jedoch war es gelungen,
eine ganz andere Art von Hunger zu stillen.
»Es ist amtlich«, bemerkte
er mit fester Stimme. »Li die Katze hat sich den Schutz des Wolfsregiments
gesichert und plant, nach Yen-men in Shansi zu reisen, um dort mit dem Großen
Statthalter zu verhandeln. Ochse, ich würde einiges darum geben, eine Fliege an
der Wand zu sein, wenn sie zusammentreffen. Der arme Buchhalter hat sein
Todesurteil durch die bloße Andeutung bewirkt, daß Li die Katze sich auf eine
Reise begeben könnte, und ich frage dich, was ist so geheim an einer
Unterredung mit dem Großen Statthalter von Yen-men?«
Darauf wußte ich natürlich
keine Antwort. Ich konzentrierte mich auf meinen knurrenden Magen, bis wir
endlich die Sänfte bezahlt, die schmale verwinkelte Gasse zu Meister Lis
Behausung zurückgelegt und uns umgezogen hatten, bevor wir uns zum Abendessen
in die Kneipe des Einäugigen Wong begaben. Wieder einmal schien der Mond sehr
hell, und die alte Großmutter Ming aus dem Nachbarhaus erwartete uns schon.
»Auch noch Menschenaffen«,
keifte sie vom Fenster aus und schüttelte die Faust in unsere Richtung. »Hä ?« gab Meister Li zurück.
»Alles mögliche Gesindel
war hier! Taschendiebe, Halsabschneider, Getreidediebe und Räuber gehen hier
Tag und Nacht ein und aus! Säufer, Pilzköpfe, Huren, Piraten, Galgenvögel und
Schwindler - alles schön und gut - aber Affen - das geht zu weit !« kreischte Großmutter Ming. Meister Li stand reglos da.
»Ist es möglich, daß dieser
spezielle Affe ein farbenfreudiges Gesicht hatte ?« erkundigte er sich.
»Was wird das schon für ein
Affe sein, der dich besucht ?« brüllte die alte
Dame. »Ich will hier keine großen Affen mit roter Nase, blauen Backen und
gelbem Kinn mehr sehen !«
Mit einem Satz hechtete ich
in die Hütte, doch es war bereits geschehen. Das ganze Haus war durchstöbert
worden, und der geheimnisvolle alte Käfig war verschwunden.
7
Bisher hatten wir den
Himmlischen Meister in seinem Amtssitz besucht, aber diesmal nahm mich Meister
Li bei Tagesanbruch mit zum Haus des Heiligen. Der alte Knabe, erklärte er mir,
pflegte mit dem Morgenstern aufzuwachen. Eine alte Dienerin ließ uns ein. Meister
Li war ihr wohlbekannt, und sie führte uns, ohne Fragen zu stellen, durch ein
schlichtes, ärmliches Haus, in dem zahme Rehe mit Hunden spielten,
Wellensittiche auf Katzen einplapperten und eine große alte Eule verschlafen
die Augen aufschlug und gurrte: Huhuu! Dann traten wir durch eine
Hintertür in den berühmtesten Garten des Reiches hinaus. Durch das Gebüsch
konnte ich den nördlichen See sehen, der in den ersten Strahlen der Sonne
leuchtete, und die kleine Anlegestelle und den eigens angelegten Weg, der es
dem Himmlischen Meister ermöglichte, zu seinem Boot hinunterzuhumpeln. Es ist
unmöglich, den Garten selbst zu beschreiben, obwohl unzählige Poeten den
Versuch gemacht haben. Die Schwierigkeit liegt darin, daß er so schlicht ist.
Ich zählte drei kleine Fischteiche, einen Felsenhügel, zehn Bäume, die so alt
waren, daß selbst kleinste Äste mit Moosbärten und Schlingpflanzen bewachsen
waren, ein kleines Rasenstück, auf dem eine Statue von Laotse stand, zahllose
struppige Sträucher und unendlich viele Blumen. Das war alles, und nichts davon erklärt das Gefühl der Zeitlosigkeit, das jeden
Besucher wie eine Decke umhüllt; die Vorstellung von Beständigkeit ohne Anfang
und Ende. Am zutreffendsten hat es vielleicht Yuan Mei in seinem berühmten Lied Des
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