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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Meisters Garten umschrieben, und selbst er gesteht ein, daß er,
abgesehen von den einleitenden Versen, gescheitert ist:
    Ein Wind aus Urzeiten
singt,
    In dem lau der Duft von
Sommer und Frühling schwingt,
    Komm nah heran, komm nah
heran!
    Zehntausendfaches Gestern
umfängt dich dann. Der Himmlische Meister saß an einem Tisch, der aus einem
kleinen Mühlstein gefertigt war und trank eben den letzten Schluck seines
Morgentees, als wir zu ihm traten. »Hallo, Kao !« rief
er vergnügt, doch ich hatte das Gefühl, daß er seinen munteren Tonfall durch
einen Vorhang tiefer Müdigkeit zwingen mußte. »Einen strahlenden guten Morgen
auch dir, Ochse. Wieder irgendwelche absonderlichen Morde?«
    »Einen einzigen, aber
obwohl er außerordentlich abstoßend war, kann ich ihn eigentlich nicht als
absonderlich bezeichnen«, erklärte Meister Li und schickte sich an, Schritt für
Schritt zu erzählen, was wir gesehen hatten, wobei er gelegentlich innehielt
und Einzelheiten wiederholte, wenn er den Eindruck hatte, daß die
Aufmerksamkeit des Heiligen nachließ.
    »Li die Katze, wie ?« bemerkte der Himmlische Meister am Ende. »Das sind
schlechte Neuigkeiten, Kao. Er ist mächtig, und er ist aalglatt, und ich
bezweifle sehr, daß du ihn eines Mordes wirst überführen können .«
    »Das habe ich schon unserem
Puppenspielerfreund gesagt«, pflichtete Meister Li mißmutig bei. »Ich glaube,
daß unsere einzige Chance sein wird, herauszufinden, was sie wirklich
schmuggeln. Wir könnten dann Druck auf einige ihrer Handlanger ausüben, die
Mandarine zu Recht oder zu Unrecht mit dem Mord in Verbindung bringen, die
wiederum gezwungen wären, den mächtigen Eunuchen in die Sache hineinzuziehen.
Nicht sehr schön und vermutlich auch ungesetzlich, aber ich sehe keine andere
Möglichkeit .« »Bleib in den Grenzen des Gesetzes,
Kao«, mahnte der Himmlische Meister sanft.
    »Ja, Meister«, antwortete
Meister Li wie ein Schuljunge, und wie ein Schuljunge hatte er die Finger der
linken Hand hinter dem Rük-ken gekreuzt. »Um die Wahrheit zu sagen,
interessiere ich mich wenig für Eunuchen und Mandarine und ihre Händel und
Morde, denn ich wette um alles, was du willst, daß ihre Beteiligung in wirklieh
wichtigen Angelegenheiten völlig unbedeutend ist, wenn sie überhaupt existiert.
Alter Freund und Lehrer, wie erklärst du dir das Wiederauftauchen alter Käfige,
die möglicherweise einmal den Acht Gelehrten Herren gehört haben? Und das
Auftauchen untergeordneter Dämonengötter aus einer vergangenen Religion? Und
was ist mit diesem affengesichtigen Wesen, das sich möglicherweise an
Mandarinmorden beteiligt, ganz sicher aber Käfige stiehlt, unter anderem auch
meinen?«
    Der Himmlische Meister
kratzte sich an der Nase und zuckte die Achseln. »Woher soll ich das wissen?
Kao, bist du ganz sicher, daß das bunte Gesicht des Affenmenschen echt ist?
Nicht die Maske eines geschickten Schauspielers?«
    »Es ist echt«, entgegnete
Meister Li entschieden. »Ochse?« »Ja, Meister, es ist echt«, bestätigte ich.
»Der Mond schien sehr hell, als ich ihn sah, und auch die Lampen im Raum
brannten. Ich konnte fast die Poren in seiner Haut erkennen und keine Spur von
Farbe .«
    Einen Augenblick lang saß
der Himmlische Meister schweigend da. Dann sagte er mit matter Stimme: »Ich
kann mich nicht mehr konzentrieren. Ich bin wie ein alter Baum, der von der
Krone her abstirbt, und ich will euch etwas sagen: sechs Nächte hintereinander
hatte ich jetzt denselben Traum. Er beginnt mit meiner Mutter, die seit fünfzig
Jahren tot ist, und er endet damit, daß ich versuche, die Schuhe meines Vaters
zu finden. Ich werde in diesem Jahr nicht mehr erleben, wie sich die Blätter
färben, Kao, und ich kann nicht klar genug denken, um vernünftige Vorschläge zu
machen. Was willst du tun ?«
    Ich stellte fest, daß die
Haut des Heiligen fast durchsichtig war, und selbst die Anstrengung, aufrecht
zu sitzen, ermüdete ihn. Tränen brannten mir in den
Augen. Von Verstorbenen und von Schuhen zu träumen, sind untrügliche Zeichen
dafür, daß man im Begriff steht, sich zu den ersteren zu gesellen, denn das
Wort für Schuhe und Wiedersehen ist ein und dasselbe: hsieh. »Den Schlüssel zu der ganzen Angelegenheit haben wir offenbar in den
Käfigen zu suchen«, erklärte Meister Li. »Beide Käfige befanden sich im Besitz
ermordeter Mandarine, und wir dürfen annehmen, daß sie dem Schmugglerring
angehörten. Es kann kein Zufall sein, daß der Tunneleingang so praktisch

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